Mit Blindheit Geschlagen
Gewinne weggesteuert, um den Krieg zu bezahlen. Zweitens haben die Alliierten die Werft bis aufs Fundament zerbombt.« Er schloss die Augen und kniff sich an der Nasenwurzel.
Stachelmann schwieg und überlegte, was der zweite Grund sein konnte. Hartmann, dachte er, was sonst?
»Weder mein Vater noch mein Großvater wurden im Entnazifizierungsverfahren als belastet eingestuft. Sie waren Mitglieder der Arbeitsfront gewesen, das war Pflicht, aber sie waren nicht in der Partei oder anderen Organisationen gewesen, obwohl Himmler sie gerne in seinem Freundeskreis der SS gesehen hätte und eine Mitgliedschaft dort nützlich gewesen wäre, jedenfalls bis 1945.«
Stachelmann legte sich Argumente zurecht, um für Grund zwei gewappnet zu sein. Was Meyerbeck berichtete, war Dutzendware, das alles hatte Stachelmann schon zigmal gelesen. Nur wenige Industrielle und Banker hatten die Nazis vor der Machtübernahme unterstützt, dafür hatten viele sich danach beeilt, die riesigen Schulden der Braunen abzutragen. Dann musste er doch etwas sagen.
»Hitler-Spende.«
Meyerbeck fixierte ihn kurz, dann nickte er. »Wahrscheinlich«, sagte er. »Wissen Sie, heute spenden Unternehmen zur Landschaftspflege, damals war es eigentlich nicht anders.«
»Nur dass Unternehmer heute sagen, sie wollten mit ihren Zuwendungen die Demokratie stärken. Das war damals anders.«
Meyerbeck nickte. Er schwieg eine Weile, dann strich er sich wieder über die Nase und setzte die Brille auf.
»Natürlich hat die Werft im Krieg Zwangsarbeiter beschäftigt, die wurden einem ja zugeteilt. Und ohne sie hätte die Werft die Produktion einstellen müssen. Mein Vater erzählte mir, sie seien ordentlich behandelt worden. Keiner musste hungern. Ich glaube, dass es so war. Aber das werden Sie alles herausfinden. Es sei denn, gut, kommen wir zu Grund zwei.« Er beugte sich ein Stück zu Stachelmann vor und blickte ihn streng an. »Sie kennen meinen Neffen.« Es war keine Frage.
Stachelmann nickte.
»Wissen Sie, ihm verdankt es Professor Bohming, dass sein Lehrstuhl diesen Auftrag erhalten soll. Wobei ich mir da nicht mehr so sicher bin. Um nicht um den heißen Brei herumzureden, Walter hat mir von Ihnen vorgeschwärmt, er hat wohl alles gelesen, was Sie geschrieben haben. Eigentlich wollte ich die Firmengeschichte nicht an Hamburger Historiker vergeben, da drängt sich der Eindruck auf, dass die Untersuchung vielleicht nicht unparteiisch geführt würde. Sie mögen mich für übervorsichtig halten, aber es gibt schon mehr Filz, als unsere Gesellschaft erträgt. Und welchen Wert hat eine Firmengeschichte, wenn es heißt, sie sei Hofberichterstattung? Aber gut, Walter ist ja angehender Historiker, und da habe ich auf seinen Rat gehört. Gestern Abend aber hat Walter mich angerufen und seinen Rat zurückgenommen. Sofern man einen Rat zurücknehmen kann. Er hatte wohl eine Auseinandersetzung mit Ihnen, eine der unerfreulichen Sorte.«
Stachelmann nickte und wartete auf das nächste »Wissen Sie«.
»Wissen Sie, Auseinandersetzungen gehören zum Erwach-senwerden. Wenn mein Neffe mich jetzt hören würde, würde er sagen, er sei erwachsen. Es stimmt beides. Er ist ein Dickschädel, wollte unbedingt Geschichte studieren. Ich hatte ihm zu Betriebswirtschaft geraten, dann Harvard. Wissen Sie, ich habe keine Kinder. Aber ich schweife ab. Meine Zweifel setzen nicht bei irgendeiner Auseinandersetzung an, sondern bei der Art und Weise. Walter glaubt, Sie hätten ihn gedemütigt. Nach dem Gespräch gestern Abend wollte ich unseren Termin schon absagen. Aber dann fiel mir ein alter Spruch ein, einer meiner Professoren hat ihn gerne zitiert: Audiatur et altera pars. Das stammt von Cicero.«
»Seneca«, sagte Stachelmann leise. Ihn nervte die Geschwätzigkeit des Alten.
»Ach ja? Sie müssen es wissen.« Er schwieg, war aus dem Konzept geraten. »Wirklich Seneca?«
»Ja, der Satz stammt aus der Medea.«
»Wissen Sie, das ist aber nicht unser Thema.«
Stachelmann nickte und schalt sich. Soll Meyerbeck doch Recht haben.
»Und, was sagen Sie dazu?«
»Wozu, Herr Dr. Meyerbeck?«
»Zu den Anwürfen meines Neffen.«
»Das ist schwierig. Er hat Recht und Unrecht zugleich.« Stachelmann dachte an Bohming und entschloss sich, die geplante Widerrede zu entschärfen. »Ich hatte einen schweren Tag, habe meinen Vater beerdigt. Sie verstehen, wenn ich mich dazu nicht weiter äußern will. Wenn meine Worte Ihren Neffen getroffen haben, so tut es mir Leid. Ich habe mir ohnehin
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