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Mit Blindheit Geschlagen

Mit Blindheit Geschlagen

Titel: Mit Blindheit Geschlagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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vorgenommen, mich bei ihm zu entschuldigen in der kommenden Seminarsitzung.«
    Meyerbeck schaute Stachelmann mit großen Augen an durch seine dicken Brillengläser. »Das wollen Sie tun?« Er wartete nicht auf eine Antwort. »Dann liegt es ja an mir, meinem Neffen beizubringen, weiterhin an Ihrem Seminar teilzunehmen.«
    »Ich bedaure …«
    »Wissen Sie, ich habe lange gebraucht, um zu lernen, dass man sogar Respekt haben soll vor Leuten, bei denen man keinen Grund erkennt, sie zu respektieren.«
    Stachelmann überlegte, ob Meyerbeck solche armen Kreaturen überhaupt zu Wort kommen ließ. Dann bemerkte er ein Unwohlsein, verdrängte es aber gleich.
    Meyerbeck lud ihn ein, das Archiv der Werft frei zu nutzen, fragte, wie lange Stachelmann brauchen werde, und war zufrieden mit seiner Antwort, er wisse es noch nicht, werde es aber bald nach Beginn der Arbeit abschätzen können. Im neuen Jahr wolle er sich gleich daranmachen.
    Das Gefühl des Unwohlseins meldete sich wieder, nachdem er sich von Meyerbeck verabschiedet hatte. Er stand vor dem Werftgebäude und wehrte sich nicht mehr gegen die schlechte Laune, die ihn ergriff. Es rumorte in ihm. Er hatte die Beerdigung seines Vaters benutzt, um gut Wetter zu machen. Es hatte gewirkt, aber es war verlogen gewesen. Doch das war nicht alles. Seit dem Gespräch mit Bohming drängte sich ihm ein Gedanke auf. Er hatte von Kollegen gehört, die Firmengeschichten schrieben. Warum hat Bohming diesen Auftrag nicht selbst übernommen oder ihn mir offiziell übertragen? Warum muss ich die Arbeit machen, für die nachher der Lehrstuhl, also der Sagenhafte, die Lorbeeren kassiert? Warum habe ich mich darauf eingelassen?
    Ein anderer Gedanke schloss sich an. Will Bohming mich so aus dem Institut drängen, damit der Neue freie Bahn hat? Stachelmann stellte sich vor, wie er Tag für Tag im Keller – wo sonst sollte das Werftarchiv sein? – saß, während Griesbach um die Bohming-Nachfolge buhlte. Er hörte Bohming reden: Hausberufung, kein Problem, das kriegen wir hin. Ich kenne da ein paar Kollegen in Bochum, da parken wir Sie zwei Semester, dann rufen wir Sie zurück. Welchen Favoriten mochte Bohming gehabt haben, bevor er Stachelmann überredet hatte, von Heidelberg nach Hamburg zu wechseln?
    Er nahm die U-Bahn zum Hauptbahnhof und stieg dort in die S-Bahn zum Dammtor um. Auf dem Weg vom Dammtor zur Universität nässte feiner Regen sein Haar. Als er sich durchs Haar wischte, tropfte es ihm kalt in den Rücken. Hochnebel drückte auf die Stadt. Die Reifen der Autos zischten. Er hörte eine Stimme: »Hallo, Herr Stachelmann!« Er ging weiter, ohne sich umzusehen.
    Auf dem Schreibtisch in seinem Dienstzimmer lag ein Zettel mit einer Nummer. »Bittet um Rückruf«, hatte Renate Breuer darunter geschrieben.
    Er überlegte, was es bedeutete. Dann wählte er die Nummer. Nach dem zweiten Klingelton wurde abgehoben. »Griesbach.«
    »Du hast angerufen«, sagte Stachelmann.
    »Ja, du musst vorbeikommen.«
    Stachelmann lachte. »Gerne.« Er spürte Aufregung.
    »Nein, nein, es ist was passiert. Ich brauche deine Hilfe.«
    »Was ist los?«
    »Wolf ist nicht zurückgekommen.«
    »Wann wollte er wieder zu Hause sein?«
    »Gestern Abend.«
    »Vielleicht hat er wirklich eine neue Freundin in Berlin?«
    »Er hätte sich gemeldet, auf jeden Fall.«
    »Aber wie kann ich dir helfen?«
    »Bist du ein Freund?« Sie klang verzweifelt.
    »Gut, ich komme.« Bist du ein Freund? Komische Frage. Sie hatten miteinander geschlafen, ist man da schon befreundet?
    Er ging schnellen Schritts und brauchte nur zehn Minuten in den Böhmersweg 19. Sie öffnete gleich, umarmte ihn flüchtig und ging vor. Er fühlte sich schwitzig. Die Arthritis griff nach den Knien. Im Tageslicht erschien ihm die Wohnung noch kahler. Erst jetzt fiel ihm auf, dass kein Bild an der Wand hing. Im Flur standen Umzugskisten gestapelt. Im Wohnzimmer setzte er sich auf einen Sessel und streckte die Beine. Sie setzte sich ihm gegenüber aufs Sofa. Sie war blass und hatte gerötete Augen.
    Er schaute sie an und wartete, sie sah zerbrechlich aus und schön. Sie zündete sich eine Zigarette an. »Ich hatte gerade aufgehört«, sagte sie gehetzt. Sie zog hastig und stieß den Rauch heftig aus, dann hustete sie. Stachelmann begriff nicht, Wolf Griesbach war gerade einen Tag überfällig, es würde sich aufklären, ein Missverständnis. Oder er hatte sich eine Krise genommen in Berlin. Eine Freundin oder eine Recherche, was auch immer.
    »Was soll

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