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Mit Blindheit Geschlagen

Mit Blindheit Geschlagen

Titel: Mit Blindheit Geschlagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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ich tun?«, fragte sie.
    »Warten«, sagte Stachelmann. »Ich glaube, die Polizei würde jetzt nicht mal eine Vermisstenmeldung annehmen. Dafür ist es zu früh. So was klärt sich fast immer harmlos auf. Außerdem, er hat ja keine Lehrverpflichtungen in diesem Semester.«
    »Aber er hatte heute früh einen Termin bei der Bank und ist nicht erschienen. Ich kann mich nicht erinnern, dass er jemals einen Termin verpasst hat. Der ist geradezu neurotisch pünktlich, kommt immer zu früh, damit er sich ja nicht verspätet.«
    Stachelmann wusste nicht, was er erwidern sollte. Ihre Aufregung erschien ihm übertrieben, fast hysterisch.
    »Wenn er morgen noch nicht da ist, dann gehen wir zu einem Spezi von mir, der ist Polizist.« Er sagte es, um sie zu beruhigen und in der Gewissheit, Griesbach würde vorher auftauchen. Er hatte keine Lust, Ossi zu treffen.
    »Ich bin ab morgen Vormittag im Seminar, wenn dein Mann bis dann nicht da ist, ruf mich an.« Er stand auf und strich ihr über den Kopf. Sie schaute nicht auf, saß elend auf dem Sessel, und Stachelmann wusste, sie würde bald wieder weinen. »Soll ich bleiben?«
    »Nein, geh. Morgen rufe ich an, auf jeden Fall. Hoffe, du hast Recht.«
    Auf dem Weg zurück zum Philosophenturm überlegte Stachelmann, warum Ines sich so sehr ängstigte. Vielleicht gab es etwas, das sie für sich behielt. Da fiel Stachelmann ein, Griesbach hatte seine neue Stelle nach Beginn des Semesters angetreten. Er erinnerte sich der Sprüche von Ostermann und Lehmann, der Neue habe wohl keinen Bock auf Seminar und wolle sich für die hehre Forschung aufsparen. Bohming hatte so getan, als höre er es nicht. Ließ sich im späten Antritt ein Geheimnis vermuten, eines, das Ines’ Angst erklärte? Stachelmann konnte sich keines vorstellen. Er überlegte, ob er einen Kollegen am Friedrich-Meinecke-Institut der FU anrufen sollte, er hatte ihn auf einer Fachtagung kennen gelernt. Aber der Name fiel ihm nicht ein, und bevor er weiter darüber nachdachte, entschied er, dass die Sache ihn nichts anging. Und Ines? Sie war schön und verführerisch, aber ihre Aufregung ernüchterte ihn. Er fürchtete, in eine Beziehungskrise hineingezogen zu werden, so was endete immer hässlich, und es gab nur Verlierer. Er musste grinsen, die Rolle passte zu ihm. Seine Laune besserte sich, während er langsam zur Uni zurückging, als würde der kalte Wind die Trübsal wegblasen. Konnte es ihm nicht gleichgültig sein, wie lange sich Kollege Griesbach in Berlin amüsierte? Oder vielleicht war er in einer Recherche versunken, sodass er die Zeit vergaß? Morgen oder übermorgen tauchte er wieder auf, und Stachelmann hätte sich lächerlich gemacht, wenn er etwas unternommen hätte. Der Mann war volljährig und litt nicht unter Alzheimer.
    Er holte sich einen Kaffee aus der Küche und nahm eine Hausarbeit vom Stapel. Er las zügig, korrigierte Kleinigkeiten und gab eine Zwei. Er schaffte noch zwei weitere Arbeiten, die er beide mit einer Drei benotete. Wäre er schlecht gelaunt gewesen, hätte es bei einer nur für eine Vier gereicht. Dann machte er sich auf den Weg nach Hause, im Gang winkte er Renate Breuer zu, die mit einem Studenten sprach. Er erwischte gerade noch die S-Bahn im Dammtorbahnhof und kam rechtzeitig zum Regionalexpress nach Lübeck, der im Hauptbahnhof wartete und um 19 Uhr 02 von Gleis 7b abfuhr. Er setzte sich in das Großraumabteil der Ersten Klasse auf seinen Lieblingsplatz am Tisch, Fensterseite, in Fahrtrichtung. Stachelmann war zufrieden und beobachtete amüsiert den Mann gegenüber, der sich ein Leberwurstbrot mehr ins Gesicht schmierte, als dass er es aß. Er überlegte sich, ob er ein Forschungssemester beantragen sollte bei Bohming. Griesbach konnte ja seine Lehrveranstaltungen übernehmen. Dann hatte Stachelmann Zeit für die Werftgeschichte und für die Habilitation. Natürlich, Bohming nutzte ihn aus. Aber der Sagenhafte würde Stachelmann dankbar sein, wenn er die Werftgeschichte ordentlich hinkriegte. Und er würde ihn für ein Halbjahr beurlauben.
    Der Zug erreichte Lübecks Hauptbahnhof pünktlich. Bald, so hatte Stachelmann gelesen, solle der Bahnhof erneuert werden, für fünfzig Millionen Euro. Das hatte die Bahn den Lübeckern schon ein paarmal versprochen. Stachelmann stieß die Schwingtüren des Ausgangs auf, vor dem Hauptbahnhof ragten Betonkolosse, wo früher das Postamt gestanden hatte, Garagen, Büros, Läden. Monatelang war der Verkehr zum Bahnhof kurz vor dem Holstentorteller

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