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Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Titel: Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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Sonnenlicht durchströmt sie den ganzen Tag.»
    «So ist es.»
    «Deshalb ist es für Euch so angenehm, sich dort aufzuhalten.»
    «Ganz recht.»
    «Meine Gemälde entstehen mit einer einzigen Lichtquelle, um Schatten hervorzubringen, die das Mienenspiel meiner Modelle betonen. Damit bringe ich ihre Gefühle zum Ausdruck.» Er hielt seine Hände so vor Scipiones Gesicht, als lenkte er einen Laternenstrahl darauf. Die Blicke des Kardinals folgten seinen Fingern. «Wenn das Licht von hier einfiele, würde ich einen anderen Kardinalnepoten sehen, als wenn ich die Lichtquelle nach hier unten verlagerte.»
    Scipione nickte verständnisvoll.
Es ist ihm ganz egal, dass es sich nur um einen Lichteffekt handelt
, dachte Caravaggio.
Er weiß, dass er viele Gesichter hat, und sie wären allesamt ein Porträt wert.
    Caravaggio deutete auf den sonnigen Hof hinaus. «In der Loggia wirken alle Gesichter flach und stumpf, weil das Licht gleichmäßig ist. Wenn ich Euch von dieser Seite ansehe, seid Ihr der Gleiche, wie wenn ich dort drüben stünde. Wonachsollte ich als Künstler überhaupt suchen, wenn alle Perspektiven identisch sind? Wie kann ich zeigen, dass das, was
ich
sehe, anders ist, wenn es das gar nicht ist? Die Sonne macht alles lebendig – außer der Malerei.»
    Er riss sich zusammen und runzelte die Stirn.
Was ist es, das die Malerei lebendig werden lässt? Ist es nur das Licht?
Ihm fiel Lenas Gesicht ein, und er lächelte.
    Scipione tätschelte Caravaggios Handgelenk. «So erfasst Ihr also den Charakter eines Menschen?»
    Caravaggio zuckte mit den Schultern. «Wenn ein Maler einen Menschen anschaut, denkt der Mensch: ‹Wie wird er mich aussehen lassen? Werde ich mich wiedererkennen? Was, wenn er mich so sieht, wie ich wirklich bin?› Das Auge des Malers durchschaut die Schuld eines jeden Menschen. Deshalb ist es schwierig, einen lebendigen Heiligen zu malen.»
    «In der Tat, äußerst schwierig. Aber was, wenn die Schuld die des Malers ist?»
    Caravaggios Hochgefühl schwand. Er zuckte zusammen und sah auf seine Hände. «Dann würde das Gemälde etwas zeigen, was nicht einmal der Maler wüsste.»
    ∗
    Lena sah ihn, als sie am Donnerstag den Fleischmarkt hinterm Palazzo Madama verließ. Weil er nicht auffallen wollte, hielt er sich in den Mauerschatten des Palazzos auf. Sie gesellte sich zu ihm und hängte sich bei ihm ein.
    «Ich warte darauf, für Euch Modell zu stehen, Maestro Caravaggio.» Ihre Stimme klang hell und kokett. Sie stemmte ihren Korb gegen die Hüfte. Die darin liegenden Kaldaunen verrutschten.
    «Ich male immer noch den Heiligen Vater», sagte Caravaggio. «Ich komme zu dir, sobald ich Bedarf habe –»
    Sie wunderte sich, dass er vor ihr ins Stottern geriet. Das sah ihm gar nicht ähnlich.
Hat er es sich womöglich anders überlegt?
, dachte sie.
    «Sobald ich Bedarf habe –», wiederholte er.
    «An einer Jungfrau», sagte sie.
    Er lächelte und zuckte verschämt mit den Schultern.
    «Es sieht so aus, als hätten wir den gleichen Weg», sagte sie. «Wollt Ihr mich nicht begleiten?» Sie ging los, und er hielt mit ihr Schritt.
    Sie sah ihn von der Seite an, zog einen Schmollmund und tat so, als wäre sie beleidigt. «Wollt Ihr mich denn nicht mehr malen?»
    Er schüttelte den Kopf und griff nach ihrem Korb. «Lass mich den tragen.»
    «Er ist nicht schwer.»
    «Doch, gib schon her.»
    Er legte ihr die Hand aufs Handgelenk und nahm ihr den Korb ab. Er besah genau ihre Finger. Sie fragte sich, ob er an die Handschuhe dachte, die er ihr gekauft hatte. «Bei der Arbeit ziehe ich sie nicht an.»
    Er merkte gar nicht, dass sie etwas gesagt hatte. Er rieb mit dem Daumen über ihre Fingerknöchel.
    «Meine Hände werden wirklich schmutzig, nicht wahr? Seht sie Euch doch an. Sie sehen furchtbar aus», sagte sie. «Heute Morgen habe ich die Warteräume der Stallknechte im Palazzo geputzt. Diese Herren machen eine Menge Schmutz.»
    Seine Berührung war heiß. Er ließ sie los.
    Sie gingen in die Via della Scrofa. Als die Marktbesucher spärlicher wurden, machte sie längere Schritte, hielt die Hände über dem Bauch verschränkt und schwang ihre Schultern.
Ein Mann, der den Tag beim Papst persönlich verbringt
, dachte sie,
geht neben mir.
Sie blickte auf sein Gesicht. Es kam ihr vor wie in einem Fieber, als sähe er in ihr bereits die Jungfrau und ringeum die Gegenwart Gottes.
Vielleicht muss man etwas seltsam sein, wenn man das macht, was er macht. Vielleicht erwartet der Papst das sogar. Wenn ihn ein

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