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Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Titel: Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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dieser von Michele geschändet worden war. Später hatte Fabrizio ihr erzählt, ihr Mann hätte Michele so angeschaut, wie Priester Häretiker anfunkeln, die sich auf dem Scheiterhaufen weigern, zu widerrufen. Nachdem ihr Mann das Oratorium verlassen hatte, hatte Michele mit einem Kerzenständer auf Muzio eingeschlagen, bis Fabrizio ihn zurückgehalten hatte.
    Sie zitterte jetzt so wie damals, als ihr Mann in ihr Gemach gekommen war und befohlen hatte, Michele fortzuschicken. Sie hatte sich dem widersetzt, bis sie einige Wochen später beobachtet hatte, wie Michele mit den Malern das Fresko gemacht hatte. Das schien eine Möglichkeit zu eröffnen, den Hausfrieden wiederherzustellen und dem Jungen die Möglichkeit einer Laufbahn zu geben, bei der ihm seine Vergangenheit nicht im Weg stehen würde.
    Habe ich ihn fortgeschickt, weil mich das, was er mit Fabrizio gemacht hat, selbst so abgestoßen hat?
Sie hatte immer geglaubt, ihrem Mündel damit etwas Gutes getan zu haben. Nun kamen ihr Zweifel. Sie rieb die Finger gegen den Daumen, als zählte sie die Perlen eines Rosenkranzes.
    Sie sah, wie er ganz wie der Junge, den sie fortgeschickt hatte, vor ihr linkisch auf den Steinfliesen von einem Fuß auf den anderen trat. Jetzt begriff sie es, obwohl sie selbst nie solche Gefühle empfunden hatte: Zwischen ihm und Fabrizio war es Liebe gewesen. Ein Teil ihrer selbst war seit der Zeit, da sie zur Braut gemacht worden war, nicht reifer geworden.
Ich schickte ihn weg, weil ihre Liebe mich immer noch als Kind erscheinen ließ. Ich habe Mutterliebe empfunden, aber niemals die Gefühle einer Geliebten.
Sie hatte Michele in die Postkutsche gesetzt, nach Mailand geschickt und gehofft, nie wieder an die Liebe denken zu müssen, die ihr verwehrt geblieben war.
    «Also gut», murmelte sie. «Ich verstecke dich für ein paar Tage hier im Palazzo Colonna. Ich bin nur zu Gast und riskiere das Missfallen meines Bruders, aber ich werde sehen, was sich machen lässt.»
    «Ihr habt Euch mir gegenüber stets als überaus großzügig erwiesen.» Er verbeugte sich so formvollendet, als wollte er sich über sie lustig machen.
    Als er zur Tür ging, flüsterte sie ihm nach: «Es tut mir leid, Michele.»
    Er griff nach der Türklinke. «Die Schuld liegt bei mir, Gnädigste. So war es immer.» Ohne sich noch einmal umzuschauen, verließ er das Gemach.
    ∗
    In jenem Sommer des Jahres 1605 weitete sich der Streit zwischen den Anhängern der französischen und spanischen Monarchen auf den Straßen Roms aus. Caravaggio hatte den Zündfunken miterlebt, nämlich die Niederlage des Ringers der Colonnas gegen den Stallknecht aus dem Palazzo Farnese. In der Nacht nach dem Kampf auf der Piazza dei Santi Apostoli war es in den von den jeweiligen Familien beherrschten Stadtvierteln zu Straßenschlachten gekommen. Daraufhin brachen sämtliche Feindschaften innerhalb der Stadt erneut auf. Es war, als hätte jemand Feuer an einen Baumstamm gelegt, und jetzt griffen die Flammen auf die Äste und kleineren Zweige und Triebe über. Familie Farnese gegen Familie Colonna. Die Männer, die auf dem Quirinalhügel wohnten, gegen die, deren Häuser in der Nähe des Campo dei Fiori standen. Franzosen gegen Spanier. Und unter all den Zwistigkeiten, die in jenem Sommer aufflackerten: Caravaggio gegen Ranuccio Tomassoni.
    Eines Nachmittags kam Costanza Colonna mit einer Nachricht von del Monte: Die Ordnungshüter interessierten sichnicht mehr für den Kampf auf der Piazza Navona. Caravaggio durfte sich wieder blicken lassen. Sofort ging er zu Lena. Sie war eben erst von der Arbeit im Palazzo Madama nach Haus gekommen und legte gerade ihr Kopftuch ab, als sie ihn in der Tür stehen sah und lächelte. Es erregte ihn, dass die Fröhlichkeit, die sich auf ihren Zügen zeigte, ihm galt. An Bewunderung war er gewöhnt, aber auf ihrem Gesicht erkannte er noch etwas anderes. Sie zog ihn von der Tür weg, reckte die Arme hoch und küsste ihn.
    Dies hätte der Moment sein können, sie in den hinteren Teil des Zimmers und hinter den Vorhang zu dem gepolsterten Brett zu führen, das ihr als Bett diente. Aber er empfand keine Wollust und verspürte sogar den Wunsch, diese Frist zu verlängern. Welche Frist?
Der Unschuld
, dachte er. Es war eine ungewohnte Empfindung, und sie erfüllte ihn mit einer merkwürdigen Energie.
Könnte es die Kraft sein, die diejenigen fühlen, die ohne Fehl und Tadel sind?
    «Lass uns spazieren gehen.» Er fasste sie um die Taille.
    Sie entschlüpfte ihm.

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