Mit dem Wolf in uns leben. Das Beste aus zehn Jahren Wolf Magazin (German Edition)
an diesen Wolf denken.
„Na, Thomas, wie war dein Wochenende? Wieder mal im Wald rumgeschlichen und einen fetten Sonntagsbraten geschossen?“
Thomas brummte nur als Antwort. Er war müde und schlecht gelaunt. Die offensichtlich blendende Laune seines Kollegen und Freundes James McDonough ging ihm heute auf die Nerven.
„Oh, wir sind nicht gut drauf heute?“ James ließ sich lächelnd in einen Stuhl fallen. „Da hab ich was für dich, das wird dich gleich aufmuntern. Ich hab am Wochenende gehört, dass sie ein paar Leute zusammentrommeln. Irgendwo im Norden soll eine Wolfsjagd organisiert werden. Die nehmen da überhand, und ein paar sind zum Abschuss freigegeben.“
„Wölfe?“ Thomas sah James direkt in die Augen, plötzlich hellwach. „Wölfe?“ wiederholte er noch einmal fragend.
„Wusste ich doch, dass dich das interessiert, alter Junge!“ James lehnte sich zurück und genoss die gespannte Erwartung seines Gegenübers.
„Was für Wölfe? Wo?“
James lachte. „Hier, ich hab dir alles aufgeschrieben. Ich weiß doch, dass du dem nicht widerstehen kannst! Eine Jagd auf Wölfe, das ist schon was!“ Er reichte Thomas einen Zettel über den Schreibtisch.
Thomas erfasste leichtes Unbehagen, während er das Gekritzel las. Stumm starrte er auf das Papier in seiner Hand. Ausgerechnet Wölfe!
„Du kannst ja ruhig anrufen“, unterbrach James seine Gedanken. „Ich habe meinem Bekannten schon gesagt, dass er mit dir rechnen kann.“
Thomas sagte immer noch nichts und starrte weiter auf den Zettel.
„Schon gut, du brauchst dich nicht zu bedanken, das habe ich doch gerne gemacht.“ James wuchtete sich hoch und ging achselzuckend aus dem Zimmer.
Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, schreckte Thomas auf. „Ja, ja, danke James“, murmelte er in Richtung der geschlossenen Tür.
Konnte es solche Zufälle geben? Sein Unbehagen verstärkte sich. Dieser Traum und jetzt das. Was hatte das zu bedeuten? Er beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen und griff zum Telefonhörer.
Thomas Reed überprüfte noch einmal seine Jagdausrüstung. Es war ein strahlend schöner Wintertag. In den intensiv blauen Himmel ragten die mit Reif überzogenen Äste der Bäume. Der unberührte Schnee glitzerte in der Sonne wie tausend Diamanten.
Routiniert schulterte er seine Ausrüstung und das Futteral mit seinem Gewehr. Er blickte sich um, sah die anderen Jäger, spürte ihr Jagdfieber fast körperlich und fühlte sich ausgeschlossen. Was war nur los mit ihm? Er war erfüllt von einem Gefühl, das er nicht näher bestimmen wollte. Eine dunkle Vorahnung überschattete alles. Normalerweise würde auch er diese wunderbare Aufregung spüren, dieses warme Kribbeln, das einer Jagd immer vorausging. Es war wie ein Besinnen auf Urinstinkte. Da gab es nur den Jäger, die weite, unberührte Natur und die Kreatur. Dieses erregende Gefühl, wenn man das Wild verfolgt, es schließlich aufspürt, wenn man einen Moment lang Herr über Leben und Tod ist, sich mächtig fühlt und überlegen. Dieser köstliche Augenblick, wo man anlegt, zielt und weiß, man wird als Sieger aus diesem Kampf hervorgehen. Ja, das war es, ein Triumphgefühl, dass man stärker ist, gewitzter, schlauer, der Natur überlegen. Warum stellte sich dieses oft so genossene Gefühl heute nicht ein? Warum hatte er diese unaussprechliche, diese … diese Angst. Ja, das war es, Angst. Er wusste, dass heute etwas passieren würde. Er sah plötzlich glasklar, dass sein Traum heute seine Erfüllung finden würde, und er hatte eine Heidenangst davor. Wenn er nur wusste, was ihn so an diesem Traum beunruhigte, wenn er nur diesen Schleier zerreißen könnte, der, wie der Nebel in seinem Traum, die Lösung dieses Rätsels verbarg.
Der scharfe Pfiff von einem Jäger riss ihn aus seinen düsteren Vorahnungen. Aufbruch! Sie hatten einen dreistündigen Marsch zu der Blockhütte vor sich, die für die nächsten Tage ihr Basislager sein sollte. Mitten in der Wildnis, in der Höhle des Löwen, wie ein anderer Jäger scherzhaft bemerkt hatte, mitten in dem Gebiet, in dem sich ein Wolfsrudel aufhalten sollte. Er hatte das ungute Gefühl, etwas Falsches zu tun. Und dann sein Traum, er ließ ihn nicht mehr los. Seine inneren Alarmglocken läuteten, aber irgendetwas drängte ihn dazu, alle Bedenken über Bord zu werfen. Aber war es wirklich richtig, was er hier tat? Woher kamen diese Zweifel? Er hatte noch nie darüber nachgedacht, ob es richtig war, ein Tier zu erschießen.
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