Mit den Augen der Fremden
waren. „Kator“, sagte die Stimme des Eingeborenen, „hätte sich die Frage stellen sollen, warum in der unterirdischen Anlage, zu der wir ihm Zutritt gewährt haben, so viel Platz frei war. Kommt und besucht uns auf der Erde, wenn Ihr bereit seid, über einen Kontakt zwischen unseren beiden Rassen zu verhandeln, in dem es nicht zu Gewaltanwendung kommt.“
Das Bild im Versammlungssaal erlosch. Im grellen Licht der Deckenbeleuchtung stand Kator klein und allein da, und die zweiundfünfzig Familienoberhäupter starrten ihn an.
Einen Augenblick lang saßen sie stumm und reglos da. Dann, wie eine Reaktion auf ein unbewußtes, instinktives, primitives Signal, ebenso reflexartig wie das Signal, das ein Wolfsrudel dazu veranlaßt, über ein verletztes Tier aus den eigenen Reihen herzufallen – sprangen sie von ihren Sitzen auf und stürzten sich auf ihn.
„Wartet!“ schrie Kator verzweifelt. „Wartet und überlegt! Ihr werft den einzigen Vorteil weg, den Ihr habt. Genauso wie der Eingeborene es Euch vorausgesagt hat. Seht Ihr denn nicht, daß ich die einzige Chance bin, die Ihr habt, und daß das völlig anders ist als alles, was wir bisher …“
Aber sie waren schon über ihm. Er war jung und stark, aber gegen ihn sprangen zweiundfünfzig, darunter auch der Brutogas, und der Instinkt kämpfte ebenso in ihm, wie er für sie kämpfte. Er ging zu Boden und spürte die Klauen kaum, die ihn zerfetzten.
„ Ich sterbe in Ehren!“ konnte er noch schreien, als noch ein letzter Rest Atem in seinem Leib war.
Und als er starb, bäumte sich der Körper von Jason auf der Erde kämpfend zwischen den Reihen der Zuschauer um ihn herum auf und fiel dann schlaff und leer zurück, als er spürte, wie die Finsternis des Todes ihn endlich in ihre Arme nahm und ihn hinwegtrug von allem was war, auf der Heimatwelt und auf der Erde.
23
Sterben, dachte Jason träge, ist aufhören. Das Aufhören zu erleben, ohne zu sterben, ist, wie wenn man einen langen Weg geht und diesen langen Weg wieder zurückkommen muß.
Er wußte nicht, wie lange es her war, seit er aufgehört hatte, seit Kator gestorben war und seit er gespürt hatte, wie die Klauen das Leben aus ihm herausrissen, aber es waren schon einige Tage verstrichen, seit er zum ersten Mal bewußt die weiße Decke über seinem Krankenhausbett gesehen hatte. Tageslicht und Nacht wechselten sich darin ab, diese Decke zu färben. Leute kamen und gingen. Gelegentlich sprachen sie mit ihm, aber lange Zeit machte er sich nicht die Mühe, ihnen Antwort zu geben.
Nachdem du aufgehört hast, dachte er, ist nichts, nicht einmal noch einmal aufzuhören, sehr wichtig. Es ist nur notwendig, sich ein wenig gehenzulassen, um wieder aufzuhören – und diesmal für alle Zeit. Manchmal fragte sich Jason unbestimmt, warum er es eigentlich nicht tat. Es schien irgendeinen Grund dafür zu geben, aber es war ihm zu unwichtig, um sich damit zu befassen.
Und dann tauchte nach einer Weile Mele unter denen auf, die kamen und gingen. Langsam wurde ihm bewußt, daß sie manchmal ein paar Stunden neben seinem Bett saß. Und nach einer Weile stellte er fest, daß er gelegentlich Antwort auf ihre Fragen gab, wenn sie wissen wollte, wie er sich fühlte und was er dachte. Und auf diese Weise gewann er langsam, ohne es zu merken, wieder Kontakt mit der Welt um ihn herum.
„Nein“, sagte er und beantwortete damit eine ihrer Fragen. „Kator war ein sehr seltener, mutiger und ungewöhnlicher Mann – Ruml, meine ich. Auf einen wie ihn kommt eine Million anderer Ruml, die nie das versucht hätten, was er tat. Das ist etwas, was Swenson und die anderen nicht begreifen konnten. Und dann …“
„Du brauchst nichts zu sagen, wenn du nicht willst“, sagte Mele. „In diesem Krankenzimmer sind Mikrophone, weißt du. Die wollen bloß Informationen, damit sie dir einen Hochverratsprozeß oder so etwas machen können. Deshalb haben sie mich herkommen lassen, weil sie hofften, daß du mit mir sprechen würdest.“
„Schon gut“, sagte er gleichgültig. „Ich will ja nur, daß sie verstehen. Was habe ich gesagt? Ja, da ist noch etwas, was die Leute hier nicht begreifen – aber eines Tages begreifen werden –, nämlich, daß weder Kator noch die anderen Ruml die Erde in dem Sinne erobern wollten, wie wir das sehen. Kator wollte das Recht gewinnen, ein Reich zu gründen – und das bedeutet, eine eigene Familie zu beginnen und so viele Söhne zu haben, wie er wollte. Normalerweise können Ruml nur
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