Mit der Hoelle haette ich leben koennen
garantierte, dass ich anderen Menschen helfen konnte, war ich bereit, mich schon am nächsten Tag in einen Tarnfleckanzug zu werfen.
Was würde ich heute dafür geben, wenn ich diese Entscheidung rückgängig machen könnte …
Meine Familie war von meinem Vorhaben wenig begeistert. Vor allem meine Mutter war voller Sorge, dass ich in einen Krieg geraten könnte. Sie ahnte nicht, wie sehr ich darauf brannte, Hilfe dort zu leisten, wo sie am nötigsten war. Ich konnte mir nicht vorstellen, mein ganzes Dasein am Schreibtisch zu verbringen. Die Herausforderung der Bundeswehr kam für mich genau im richtigen Moment.
Noch in derselben Woche bewarb ich mich als Soldatin und erhielt prompt eine Einladung zu einem dreitägigen Eignungstest, der ein paar Wochen später in Hannover stattfand. In der Unterkunft dort teilte ich mir mit jungen Frauen ein Achtbettzimmer und erfuhr zum ersten Mal, was Kameradschaft sein konnte.
Wir feuerten uns gegenseitig an, gaben uns Ratschläge und trösteten einander, wenn eine von uns einen der Tests nicht bestanden hatte. Für drei Tage waren wir wie eine Familie. Ich glaubte, meine Bestimmung gefunden zu haben. Helfen, ich wollte endlich aktiv helfen, vielleicht würde ich es ja sogar irgendwann zur Ärztin bringen…
Am letzten Tag saßen wir jungen Frauen alle nebeneinander auf harten Holzstühlen in einem kargen Wartezimmer. Wir sollten die finale Runde bestreiten: den psychologischen Test. Unzählige Horrorstorys waren darüber im Umlauf, deshalb waren wir ziemlich nervös.
Einmal war wohl eine Frau gefragt worden, ob sie schon mal mit ihrem Vater geschlafen habe.
»Nein, natürlich nicht«, soll sie ein wenig verwirrt geantwortet haben.
»Vielen Dank«, hieß es daraufhin nur.
Das war es dann für sie, denn die richtige Antwort wäre gewesen: »Das geht Sie gar nichts an!«
Mit solchen Geschichten im Genick harrten wir der Dinge, die da kommen sollten. Ich konnte das Adrenalin in der stickigen Wartezimmerluft förmlich riechen und versuchte, mich nicht komplett verrückt machen zu lassen. Während die anderen wild durcheinanderredeten, saß ich still da und betrachtete die abblätternde Farbe an den Wänden. Dabei konzentrierte ich mich auf meine Atmung und blendete das Geschnatter um mich herum komplett aus. Auch ignorierte ich den penetranten Geruch des Bohnerwachses und das aufgeregte Kieksen, wenn erneut jemand an die Reihe kam.
Dann wurde mein Name aufgerufen, und ich sprang auf. Mit energischen Schritten betrat ich einen karg möblierten Raum, in dem mehrere Menschen in Uniform an einem langen Tisch saßen. Der Raum war nicht groß, es roch nach altem Linoleum. Da ich mich damals mit Dienstgraden noch nicht auskannte, hatte ich nicht die geringste Ahnung, wer da vor mir saß.
Kaum hatte ich mich vor dieses Tribunal gesetzt, als mich auch schon der Vorsitzende fragte, wieso ich mit meiner bosnischen Herkunft daran interessiert sei, der Bundeswehr beizutreten.
Voller Elan erklärte ich den Prüfern meine Intention und betonte, dass ich darauf brannte, den kriegsgebeutelten Menschen vor Ort zu helfen. »Das war schon immer mein Wunsch«, schloss ich meinen Bericht.
Daraufhin schaute mich einer der Offiziere lange an.
»Das nehme ich Ihnen nicht ab«, sagte er.
Ich schaute lange zurück, von seinem stechenden Blick ließ ich mich nicht aus der Ruhe bringen. »Nun, das ist die einzige
Wahrheit, die ich Ihnen bieten kann«, sagte ich nach einer Weile. »Wenn Ihnen die nicht reicht, dann bin ich für die Bundeswehr wohl nicht geschaffen.«
Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Anschließend nickte er seinen Kollegen kurz zu und sagte: »Setzen Sie sich draußen ins Wartezimmer und empfangen Sie Ihren Einsatzstandort.«
Innerlich jubelnd stand ich auf und verließ den Raum.
Punkt, Satz, Sieg: Matijević.
Im Herbst 1996 begann meine Bundeswehrkarriere bei einer Luftwaffenausbildungseinheit in Roth nahe Nürnberg. Ich hatte mich gleich für vier Jahre verpflichtet, um die Chance auf ein Medizinstudium zu vergrößern. Was mir nicht bewusst war: Damit standen auch meine Chancen auf einen Auslandseinsatz im Kosovo denkbar gut, denn die Konflikte hatten in letzter Zeit weltweit zugenommen. Ich ging davon aus, da es sich um eine Grundausbildung handelte, zwei Monate stumpfes Exerzieren und Herumbrüllen vor mir zu haben. Dass mich intellektuell mehr erwartete als etwa die Deklination von - in der Kaserne sehr beliebten - Vokabeln wie »trinken«, hätte ich nicht
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