Mit der Zeit
verschiedenen Orten, daß ich gar nicht erst anfangen will, sie aufzuzählen. Er reist mit einer ganzen Anzahl von – meist libanesischen – Pässen, aber das ist schon eine Weile her. Und sein Stützpunkt ist immer dort, wo gerade die Aktentaschen sind. Verstehst du jetzt, warum diese Bombendrohung nicht echt sein kann? Du bist der letzte Mensch, den ein Drahtzieher wie er kennenlernen möchte. Und du willst auch ihn nicht kennenlernen. Der hat dir nichts zu bieten. Vergiß das alles.«
»Du sagst, Zander sei ein alter Deckname von ihm. Das klingt nach Nordeuropa. Weißt du, wo er herkommt?«
»Sicher. Geboren wurde er in Tallinn in Estland. Eine deutschsprachige Familie allerdings. Als die Sowjets nach dem Angriff der Nazis auf Polen im Baltikum einmarschierten, war er wohl Student. Natürlich sind die Unterlagen entweder vernichtet oder nicht verfügbar, aber er muß etwa achtzehn gewesen sein. Die Burschen wachsen dort schnell heran, und außerdem werden sie zäh. Die Russen schnappten zwar seine Familie, aber er konnte entkommen. Er gehörte zu einer Gruppe von Flüchtlingen, die sich auf dem Wasserweg nach Danzig durchschlugen. Dort trat er als Freiwilliger in die Wehrmacht ein und kam nach der Grundausbildung zur weiteren Spezialisierung auf eine Militärschule der Infanterie, danach zu einer Fernmeldeeinheit. Aber seine Aufgabe war nicht das übliche Errichten von Feldposten. Er sprach fließend russisch und hatte aufgrund seiner Vergangenheit eine antisowjetische Einstellung. Sie schonten ihn für später. Und als dann Hitler nach Rußland eindrang, wurde der junge Zander als Dolmetscher der Abwehr überstellt. Du weißt über die Abwehr Bescheid?«
»Nachrichtendienst und Spionageabwehr der Wehrmacht, oder? Nicht mit der Gestapo zu verwechseln.«
»Stimmt. Gute Jungs, oder doch einigermaßen. Wer jedenfalls an der russischen Front in der Abwehr eingesetzt war, brüstete sich hinterher nicht damit, schon gar nicht im März fünfundvierzig. Zudem war er bei Kriegsende ein Vertriebener ohne eine Heimat, in die er hätte zurückkehren können. Estland gehörte nun endgültig zur Sowjetunion. Also nutzte er einiges von dem, was er in der Abwehr gelernt hatte, und mogelte sich über Frankreich und Spanien nach Algerien durch.«
»Sehr wendig. Warum Algerien?«
»Er war nie etwas anderes als Soldat gewesen. Würdest du mir glauben, wenn ich dir sagte, er hat sich zu einer deutsch sprechenden Fallschirmjägereinheit der französischen Fremdenlegion gemeldet?«
»Warum auch nicht? Viele der Legionäre in der Schlacht um Dien Bien Phu waren Deutsche.«
»Dien Bien Phu, richtig. Da wurde er verwundet. Aber er hatte Glück. Es passierte in den ersten Wochen der Schlacht. Er war einer von denen, die evakuiert wurden. Sein letztes Jahr in der Legion verbrachte er dann wieder in Sidi-bel-Abbès als Ausbilder an der Waffe. Legionär war er übrigens unter dem Namen Carl Hecht geworden.«
»Wann habt ihr eine Akte über ihn angelegt?« fragte ich.
»Oh, das war erst später, erst als …« Er unterbrach sich, und ich dachte schon, er überlege wieder, ob er nicht zuviel für eine zu geringe Gegenleistung preisgab. Aber nein; es lag einfach daran, daß er als Archivar die Dinge gern in chronologischer Reihenfolge geordnet haben wollte.
»Wir sind einigermaßen sicher«, fuhr er fort, »daß er die anschließenden zwei Jahre entweder im Libanon oder in Jordanien oder in beiden Ländern verbracht hat. Nach seiner Zeit in der Legion, seiner Verwundung und ehrenhaften Entlassung stand es ihm zu, die französische Einbürgerung zu beantragen. Also änderte er erneut seinen Namen und wurde Charles Brochet. Als ehemaliger Ausbilder in der Fremdenlegion, der zudem in Algerien ein wenig Küchenarabisch gelernt hatte, wäre er in den Trainingscamps der PLO mit offenen Armen empfangen worden.«
»Du sagst, ihr seid einigermaßen sicher. Nur einigermaßen?«
»Na ja, das war nur die Geschichte, die er hinterher erzählte. Es war nicht ohne weiteres möglich, sie zu überprüfen. Er ist offenbar ein gerissener Lügner. Kann gut einschätzen, was man von ihm zu hören hofft oder erwartet. Du hast gefragt, wann wir diese Akte über ihn angelegt haben. Das war erst später, neunundfünfzig, als er anfing, sich in Tunesien einen Namen zu machen. Einen Namen als Verschwörer und Partisan, meine ich.«
»Und wie?«
»Er betrieb ein Import-Export-Geschäft für die FLN. Die Franzosen hatten in Nordafrika wirkungsvolle
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