Mit der Zeit
äußern können. Ich weiß heute auch, daß es besser ist, von Komikern die Finger zu lassen. Zu viele von ihnen sind manischdepressiv; und ihre Erinnerungen an die Vergangenheit ertrinken oft in Selbstmitleid. Dagegen können Musiker von guter Qualität sein, und das gilt auch für Industriekapitäne, verabschiedete Generäle und Politiker. Bei Generälen muß man allerdings vorsichtig sein. Die meisten haben irgendwelche Privatfehden, und es kann einen schon irritieren, wie freigebig sie geheime Informationen ausplaudern. Generäle neigen auch zu der Ansicht, ihre Verabschiedung gebe ihnen automatisch das Recht, sich über Verleumdungs- und Beleidigungsparagraphen hinwegzusetzen. Alles in allem sind mir Politiker am liebsten, auch wenn sie in punkto Verfasserangaben meistens Ärger machen. Sie wollen wirklich einen anonymen Schreiber für ihre Bücher. Selbst Leute, die während ihrer ganzen politischen Laufbahn offizielle Redenschreiber beschäftigt haben, finden es erniedrigend, zugeben zu müssen, daß sie ohne fremde Hilfe kein zur Veröffentlichung geeignetes Buch schreiben können. Es gibt natürlich annehmbare Auswege aus dieser Schwierigkeit. »Redaktionelle Mitarbeit« können sie im allgemeinen ohne ernsthaften Prestigeverlust zugestehen. Und der »Mitwirkende« kann durch langfristige Entschädigungen auf seine Kosten kommen. Wenn das Buch in ausreichendem Umfang unveröffentlichte Briefe und Dokumente enthält – und seien sie auch noch so nichtssagend –, dann wird die Originalausgabe in stattlicher Zahl von Bibliotheken gekauft, und der Titel erscheint in allerlei Bibliographien. Politikermemoiren sind oft noch nach Jahren gefragt. Da ich überdies Politik und Politiker interessant finde, macht mir die Arbeit meistens Spaß.
Allerdings halte ich mich bei der Auswahl meiner Kandidaten an einige feste Regeln. Ich will zum Beispiel weder mit Popstars, Boxern und Baseballmanagern zu tun haben noch mit Leuten, die behaupten, einem geheimen Nachrichtendienst angehört zu haben. Leute mit Alkohol- oder Drogenproblemen meide ich ebenfalls, denn ganz gleich wie berühmt sie einmal waren oder vielleicht noch sind, für mich sind sie in jedem Fall ein unerwünschtes Risiko. Und das nicht nur, weil ich bei ihnen damit rechnen muß, eine Menge Zeit zu vergeuden. Das größte Berufsrisiko meines Gewerbes besteht in der Versuchung, den Amateurpsychiater zu spielen. Wenn die Gelegenheiten dazu auf ein Minimum beschränkt bleiben sollen, muß man Regeln aufstellen und sich dann daran halten.
Damals hatte ich jedoch keine – strenge, feste oder irgendwie andersgeartete – Regel in bezug auf Witzbolde, die behaupteten, Bomben an mich abgeschickt zu haben. Dafür hatte vorher keine Notwendigkeit bestanden.
Mein erster Eindruck von dem Brief war natürlich, daß mir irgend jemand einen Streich spielen wollte, irgend jemand aus meinem Bekanntenkreis mit einem defekten und unangenehmen Sinn für Humor – diese Postkarte vom Hotel Mansour war ein boshafter kleiner Dreh –, aber mir fiel niemand ein, der in Frage kommen könnte. Dann begann ich zu überlegen, was das wohl für ein Mann war, der glauben konnte, der Nachweis seiner persönlichen Integrität und freundliche Beziehungen zu einem Fremden ließen sich am besten durch eine Bombe und eine Warnung erreichen. Wenn es tatsächlich eine Bombe gab, dann mußte ein solcher Mann vollkommen verrückt sein.
Vollkommen? Als ich den Brief noch ein paarmal gelesen hatte, kamen mir erste Zweifel. Dieser letzte Absatz klang keineswegs verrückt und hatte vielmehr etwas merkwürdig Selbstsicheres und Kluges an sich. Dieser Mann kannte sich nicht nur gut genug aus, um richtig einzuschätzen, wie jemand mit meiner Journalistenvergangenheit vorgehen würde, um ihn zu überprüfen, er wußte außerdem über die ihn selbst betreffenden Zeitungsberichte so gut Bescheid, daß er einen Decknamen wählte, der auftauchen würde, falls ich ihn tatsächlich überprüfte. Oder vielmehr wenn ich ihn überprüfte. Er zweifelte nicht im geringsten an meiner Neugier. Gut informiert also, und fast zu schlau, aber nicht vollkommen verrückt.
Plötzlich, beim Lesen der ersten beiden Absätze, hatte ich begriffen. Der Stil, das war der Mann. Es war die Mitteilung eines eitlen Mannes, der zweifellos mit irgendwelchen unsauberen Machenschaften zu tun hatte, aber eines Mannes, der sich gern selber zuhörte und der eine gewisse Vornehmheit anstrebte. Ein einfacherer Mann hätte gesagt:
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