Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)
auf den Hundehaufen. Daneben liegt noch einer. Und noch einer. Und noch einer. Der ganze Platz ist zugekackt. Und er stinkt erbärmlich.
Es ist der erste schlimme Moment in meinem Projekt: Ich bin beim Lesen der Gesetze beinahe verrückt geworden, mein Kumpel hat mir die Freundschaft gekündigt, als ich ihm all seine Verfehlungen vorgerechnet habe, ich habe Platzangst bekommen ob der Verbote, die es in Deutschland so gibt.
Doch es gab da diese Hoffnung, dass dieser eine Ort existiert, an dem die Welt in Ordnung ist. An dem man sich hinsetzen und ein Bier trinken kann, ohne ein Verbotsschild sehen zu müssen und von jemandem darauf hingewiesen zu werden, was man gerade falsch gemacht hat oder falsch machen könnte.
Dieser Platz allerdings ist zugeschissen wie ein Dixi-Klo auf dem Campingplatz von »Rock im Park«.
Kann jemand bitte ein Schild aufhängen, auf dem steht: »Nehmt eure Hundekacke wieder mit!«
Und noch eins: »Und euren Müll auch!«
Dieser Platz stinkt – im wahrsten Sinn des Wortes. Der Ort, der der schönste in Deutschland sein sollte, ist einfach nur erbärmlich.
Die Anzahl der Schilder wächst im Jahr 2013 um mindestens 100000 – und ich hoffe, dass ein Schild niemals entfernt wird. Es wurde nämlich nur wegen mir angebracht. Darauf steht: »Heute wegen gestern geschlossen!« Ich finde, es sollte zumindest so lange aufgestellt bleiben, bis ich meinem Sohn davon erzählen kann. Oder bis er Kapitel 35 in diesem Buch gelesen hat.
Ich habe es gerade noch einmal überprüft: Ja, wir dürfen noch atmen in diesem Land. Aber es könnte schon sein, dass es bald das Einzige ist, was noch ohne Einschränkung erlaubt ist.
Kapitel 4
Wir sind alle Verbrecher
Einige Menschen behaupten, noch niemals in ihrem Leben gelogen zu haben – zumindest nach ihrer Definition: Eine Notlüge ist keine Lüge. Eine gelogene Höflichkeit ist keine Lüge. Eine nett gemeinte Lüge ist keine Lüge. Wenn jemand anmerkt, dass auch eine nett gemeinte Lüge eine Lüge ist, so wie ein unabsichtliches Foul beim Fußball auch ein Foul ist, dann antworten sie: »Das ist doch Quatsch!«
Ähnlich ist es mit Gesetzen: Viele Menschen behaupten, noch niemals in ihrem Leben ein Gesetz gebrochen zu haben. Ich merke das zum ersten Mal an dem Tag, an dem ich meinem Freund Adam erzähle, ein Jahr lang gesetzestreu leben zu wollen. »Wo ist das Problem?«, fragt er. »Das mache ich seit mehr als 30 Jahren. Das Projekt ist Blödsinn – lustiger wäre es, sich ein Jahr lang nicht an Gesetze zu halten.« Was ich noch nicht weiß: Während des Jahres werde ich diesen Vorschlag ungefähr 500 Mal hören.
»Glaubst du das wirklich? Dann müsstest du sagen, dass jede dieser Behauptungen zutrifft«, entgegne ich.
Ich zähle die Statements auf, die ich vorbereitet habe:
»Ich bin noch nie in meinem Leben zu schnell gefahren! Ich habe noch nie einen Film oder ein Lied aus dem Internet gezogen – oder bei YouTube einen urheberrechtlich geschützten Film gesehen! Ich habe mein erstes alkoholisches Getränk im Alter von 16 Jahren getrunken! Ich habe alles versteuert, was ich jemals nach Deutschland eingeführt habe! Ich habe noch nie Müll auf die Straße geworfen, auch keine Zigarette! Ich habe meine Steuererklärung jederzeit ehrlich gemacht! Ich habe noch niemals jemanden beleidigt! Ich habe noch nie die Versicherung betrogen! Ich habe noch nie ein Handtuch aus dem Hotel mitgehen lassen! Ich habe den Versuch jeder Straftat zu verhindern versucht oder bei der Polizei angezeigt. Ich habe noch nie dort geraucht, wo es verboten war! Ich habe mich zu jeder Zeit meines Lebens an jeden Paragrafen des Mietverhältnisses gehalten! Ich habe mich noch nie krankgemeldet, obwohl ich hätte arbeiten können.«
Adam sagt sofort: »Klar habe ich viele Dinge davon schon gemacht – aber das ist doch alles abgedroschen! Schnell fahren, Musik klauen, Beleidigungen. Hast du nichts Überraschenderes auf Lager?« Er gähnt.
Ich muss kurz überlegen.
»Du lässt doch im Winter immer den Motor deines Autos warmlaufen, oder?«
»Ja!«
»Verboten!«
»Echt? Wusste ich nicht!«
»Und deine Spazierfahrten als Teenager, als du jedes Mädchen der Stadt herumkutschiert hast?«
»Ich kann doch fahren, wohin ich will.«
»Nein, in Deggendorf musste eine Frau fünf Euro deshalb bezahlen.«
»Was?«
»Ja. Außerdem hast du als Student fast jeden Tag auf dem Balkon gegrillt. Verboten!«
»Wusste ich doch nicht!«
»Und dein ach so perfekter Lebenslauf? Dein
Weitere Kostenlose Bücher