Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)
geschrieben und empfangen haben. Der Anbieter kann diese Mails auch von überall aus abrufen. Das ist schön für den Anbieter.
In der E-Mail des Freundes steht: »Ihr habt mir gar nicht gesagt, dass ihr zum Spielplatz geht, das habe ich nur auf Steffis Profil gelesen. Ich wäre auch gerne gekommen! Ach ja: Du hast vorhin bei YouTube ein Coldplay-Video angeschaut. Du und Coldplay? Komisch! Was ich noch lustig finde: Dass du als Werder-Bremen-Fan ein Anhänger der Basketballer vom FC Bayern bist. Und ich wusste gar nicht, dass du auf Xing mit diesem ehemaligen Radsportler befreundet bist. Das ist ja cool!« Xing kennt meine Freundschaft mit dem Radfahrer auch. Das ist schön für Xing.
Facebook weiß übrigens auch, dass ich das Coldplay-Video gesehen habe und dass ich bei einem Spiel der Bayern-Basketballer gewesen bin. In der Beschreibung der Timeline formuliert Facebook das so: Die Chronik zeigt »die Filme, die du siehst, die Musik, die du hörst, alles, was dich beschäftigt. Es gibt nun soziale Apps, die ausdrücken, wer du bist, durch das, was du tust.« Das hört sich prima an – auf jeden Fall besser als: »Wir wissen jederzeit, was du tust, was dir gefällt und was du kaufen könntest!« Die Werbung, die ich auf Facebook sehe, dreht sich um Designer-Bürostühle, Kreuzfahrten und Handys. Komisch: Vor ein paar Tagen habe ich tatsächlich intensiv nach Urlaubsreisen, einem Stuhl für mein Arbeitszimmer und einem Telefon als Geschenk für meine Frau gesucht.
Was für ein Zufall.
Als ich mit meinem Sohn am Nachmittag zu einem Spiel der Basketballer gehe, wird in meinem Facebook-Profil angezeigt: »Juergen Schmieder ist hier: Audi Dome.« Ich muss dafür gar nichts tun. Ich habe irgendwann einmal die Ortungs-App Gowolla installiert und offenbar erlaubt, dass sie meinen aktuellen Ort verwenden darf. Der Service ist praktisch, weil meine Frau nun weiß, dass wir sicher angekommen sind. Er ist auch praktisch, weil ich hoffe, ungefähr 80 Prozent meiner sogenannten Facebook-Freunde – die in Wirklichkeit nicht einmal Bekannte sind – damit zu beeindrucken, was ich an einem einzigen Samstag so alles erlebe. Es ist aber auch praktisch für den Betreiber der Applikation und für Facebook, die so ein recht genaues Bewegungsprofil von mir erstellen können. Sie wissen genau, wann ich wo bin.
Am Abend dann gehe ich mit meinen Freunden in verschiedene Kneipen. Die Ortungs-App vermutet, dass wir uns in einer Bar befinden, die nicht nur Bier und Burger, sondern auch Frauen feilbietet – und in der exotischer Tanz geboten wird. Das ist schön für die Bar. Das ist nicht schön für mich, weil ich meiner Frau erklären muss, dass wir nicht in dieser Bar waren. Es ist auch nicht schön für mich, weil ich womöglich auch künftigen Arbeitgebern erklären muss, dass ich mich gewöhnlich nicht in diesen Bars aufhalte.
Vor dem Einschlafen lese ich noch eine Forderung von John Kerry. Der war Senator von Massachusetts und vor allem berühmt dafür, dass er es tatsächlich geschafft hat, 2004 die Präsidentschaftswahl gegen George W. Bush zu verlieren. Inzwischen ist er aber immerhin Außenminister. Kerry sagte einmal: »Firmen protokollieren jede Nutzerbewegung – in einem nicht mehr begreiflichen Maß. Sie können mit diesen Informationen tun, was sie wollen – wir haben bisher kein Gesetz, sie davon abzuhalten.« Die Datenschützer wehren sich nicht wirklich gegen die Überwachung, es hat mehr den Anschein eines aussichtslosen Rückzugsgefechts, das da geführt wird.
Ich beschließe am Ende des Tages, das »Do Not Track«-System zu installieren, das verhindern soll, dass Internetfirmen einem folgen, ein Nutzerprofil erstellen und diese Daten weitergeben. Kurz vor dem Einschlafen bekomme ich von meinem Freund noch mitgeteilt, dass ich aufhören solle, Coldplay zu hören, er habe nun drei Videos entdeckt, die ich mir angesehen habe. Er habe außerdem gesehen, dass ich mich einige Zeit lang auf einer Online-Pokerseite herumgetrieben habe – er sei ebenfalls eingeloggt gewesen und habe nur nach meinem Benutzernamen gesucht. Das Online-Casino weiß natürlich auch, dass ich da war – und es weiß auch, wer sonst noch gespielt hat. Und es weiß, wer wann wie viel gewonnen oder verloren hat. Das ist schön für das Casino. Mein Kumpel schickt mir Artikel 10 des Grundgesetzes. Darin steht: »Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.«
Dieser Satz hört sich an, als wäre er von meinem
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