Mit einem Bein im Modelbusiness
ganze Aktion aber doch zu unsicher, da das vorhandene Zeitfenster viel zu kurz war. Sie bezahlten ja für den Job, und da hätte ich nicht ankommen und sagen können: » Leute, beeilt euch bitte mal ein bisschen, mein Taxi wartet schon!«
Natürlich hätte ich meinen Flug umbuchen und später fliegen können. Aber Lea kam am gleichen Tag aus Vietnam zurück – wir hatten das extra so geplant –, und ich wollte nicht, dass sie, nachdem wir uns drei Monate nicht gesehen hatten, die erste Nacht zu Hause alleine verbringen musste. So entging mir zwar ein großes Editorial für das Seventh Man -Magazin, das ich auch wirklich toll fand, als ich das Heft später am Kiosk sah, aber meine Freundin war mir in dem Augenblick einfach wichtiger. Trotzdem kehrte ich mit einem guten Gefühl nach Hamburg zurück, denn ich merkte, dass entgegen allen Prognosen der Londoner Markt sehr wohl auf mich ansprang. In einem wunderbaren Spruch heißt es: Wenn die Welt dir sagt: » Gib auf«, flüstert die Hoffnung: » Versuche es noch einmal.«
Genau das habe ich gemacht. Aufgeben kann jeder. Das ist einfach. Doch am Ball zu bleiben und nicht den Glauben an sich und seinen Traum zu verlieren, darauf kommt es an. In diesen Momenten, in denen man sich entscheiden muss, trennt sich nämlich die Spreu vom Weizen. Mir war schon klar, dass jeder es verstanden hätte, wenn ich mit leeren Händen aus London zurückgekehrt wäre, doch ich wollte ihnen, aber vor allem mir selbst beweisen, dass alles möglich ist, solange man es sich in seinen Gedanken vorstellen kann.
Berlin: Stylenite Dynamite
Nachdem ich mit Lea ein paar schöne Tage in Hamburg verbracht hatte und wir uns alle Geschichten der vergangenen Monate erzählt hatten, schaute ich mal wieder in der Agentur vorbei, um ein Lebenszeichen abzusetzen.
» Oh, Mario, gut, dass du da bist«, begrüßte mich Basti eifrig. » Wie war London?«
» Fett!«, strahlte ich und konnte meine Genugtuung kaum verbergen. » Extrem fett!«
» Sehr gut, sehr gut. Pass auf, dieses Jahr finden für die Fashion Week in Berlin zum ersten Mal auch Castings für Jungs statt.«
» Ah ja? Wann is ’n die?«
» Schon nächste Woche. Wir werden uns zwei Busse mieten und zusammen rüberfahren. Michalsky castet übrigens auch!«
» Echt? Cool!«
» Also, wie sieht’s aus, haste Bock mitzufahren?«
» So im Klassenfahrt-Style?«, lachte ich.
» Ja, so ungefähr.«
» Logisch, Digger. Bin dabei. Das wird geil.«
Ich fühlte mich noch voller positiver London-Energie, die ich mit nach Berlin nehmen wollte. Ich hatte sowieso nichts Besseres zu tun, und da viele meiner Freunde in Friedrichshain und Kreuzberg wohnten, würden mir auch keine Hotelkosten entstehen. Yeah! Ich strotzte nur so vor Selbstbewusstsein und war bereit, die Show meines Lebens zu laufen.
»… das Symbol der Berliner Mode«
Im Verhältnis zu Mailand oder Paris steckte die Fashion Week in Berlin natürlich immer noch in den Kinderschuhen, aber allein die Tatsache, dass es für uns Jungs zum ersten Mal Castings gab, machte deutlich, dass auch die deutsche Modeszene langsam, aber sicher an Bedeutung gewann. Sogar internationale Kunden wie Calvin Klein waren in diesem Jahr am Start. Es war schon ein komisches Gefühl, durch die Straßen der Hauptstadt zu ziehen, denn obwohl ich ja selbst erst seit drei Jahren im Game war, fühlte ich mich schon wie ein alter Hase und war völlig relaxt dabei. Vielleicht lag es aber nur daran, dass ich ein Heimspiel hatte und keinerlei Druck auf mir lastete. Die Castings gingen mir superlocker von der Gräte.
Tja, und dann wartete auch ich, wie alle anderen hundert Jungs, die mit mir in der Reihe standen, auf das Casting für Michael Michalsky. Seine Stylenite war die mit Abstand wichtigste Show der Woche. Jedes Model, ob Mädchen oder Junge, wollte für ihn laufen, weil allen klar war, dass sich die Medien wie die Geier auf diesen Abend stürzen würden und man auf jeden Fall ein bisschen Aufmerksamkeit abbekäme. Karl Lagerfeld hat einmal gesagt: » Michael Michalsky ist für mich das Symbol der Berliner Mode. Er repräsentiert den Zeitgeist der Stadt, den Humor der Stadt und hat ein Talent, was dort nötig war, um der Welt zu beweisen, dass Berlin eine Modestadt ist, mit der man rechnen muss. Bravo Michael!«
Der Andrang war so enorm, dass wir uns in Viererreihen aufstellen und sogar gemeinsam laufen mussten. Es wurde knallhart aussortiert. Von den vier Jungs, die vor uns standen, wurden drei direkt wieder
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