Mit einem Fuß im Himmel
hätte so etwas gewiß nicht fertiggebracht. Aber dem, ausgerechnet dem hatte sie den Laufpaß gegeben, um dafür an diesen Hein Grotius zu geraten, diesen treulosen Schurken, diesen Mädchenverführer, der ihr Vertrauen so skrupellos mißbraucht hatte!
Gabriele kochte vor Wut. Ihr Zorn war entschieden größer als ihr Kummer, sie hätte sich selber ohrfeigen mögen, und Hein Grotius dazu, Hein Grotius vor allem natürlich. Was sollte sie jetzt nur machen?
Einen Augenblick war sie nahe daran, in die Wohnung zu stürmen, Hein Grotius in flagranti zu ertappen, einen Mordskrach zu schlagen und ihm ihre ganze Verachtung ins Gesicht zu schreien — aber wozu? Was sollte das helfen? Das Kapitel Hein Grotius war für sie endgültig erledigt, vorbei und abgetan. Es lohnte sich nicht, noch etwas in dieser Angelegenheit zu unternehmen.
Sie öffnete ihre Handtasche, riß einen Zettel aus ihrem Notizbuch und schrieb in großen Buchstaben darauf: »Du Schuft! Ich habe dich durchschaut! Mich wirst du nie mehr wiedersehen! Gaby.«
Sie steckte diesen Zettel vorsichtig und lautlos in den Briefkasten, und die Vorstellung des Gesichts, das Hein Grotius machen würde, wenn er ihn fände, gab ihr wenigstens eine kleine Genugtuung.
Das wollte nun ein Wassermann sein! Ob die Sterne...? Nein, nein, natürlich war es Hein Grotius, der gelogen hatte! Sie hatte ihm das mit dem Wassermann ja geradezu in den Mund gelegt, und er, als versierter Lügner, war sofort darauf eingegangen. Natürlich, so war es und nicht anders. Die Sterne logen nicht, das war ausgeschlossen. Die Sterne hatten ihr für heute einen großen beruflichen Erfolg prophezeit, und diese Chance mußte sie nutzen.
Gabriele nahm es als ein gutes Zeichen, daß sie am Luegplatz sogleich die Linie 16 erwischte, die zum Hauptbahnhof fuhr. Dort angekommen, stellte sie fest, daß in wenigen Augenblicken auf Bahnsteig 4 ein Schnellzug nach Köln abfahren würde. Sie hatte keine Zeit mehr, eine Fahrkarte zu lösen, rannte mit der Bahnsteigkarte durch die Sperre und erwischte in letzter Sekunde den bereits anfahrenden Zug.
Gabriele ließ sich aufatmend auf einen freien Platz sinken und schloß die Augen. Das Rollen und Stampfen der Räder erfüllte sie mit Freude. Dieser Zug würde sie nach Köln bringen, zum Rundfunk! Wenn dort nicht die große Wende ihres Lebens geschehen würde, dann mußte es doch wirklich mit dem Teufel zugehen.
XXI
Therese war allein in ihrer Wohnung, und von Minute zu Stunde wurde es ihr schmerzlicher klar, wie allein sie war, seit Oskar sie verlassen hatte. Natürlich war noch ihr Mädchen da, aber das war keineswegs tröstlich, sondern verursachte nur noch eine weitere Peinlichkeit. Therese mußte sich eine Lüge ausdenken von einer dringenden Geschäftsreise ihres Mannes und mußte zudem noch versuchen, sie glaubhaft vorzubringen. Sie fühlte sich entsetzlich verlassen, verloren und verraten.
Natürlich hätte sie, wie sie ja angedroht hatte, ihre Koffer packen und zu ihrer Mutter fahren können, aber sie war sich darüber klar, daß es für die alte Dame einen ziemlichen Schock bedeuten würde, ihre Tochter nach zwanzigjähriger Ehe sozusagen geschlagen nach Hause kommen zu sehen. Therese hätte eine ihrer guten Freundinnen anrufen und ihr Herz ausschütten können, aber sie wußte, daß sie von keiner unter ihnen etwas anderes als Mitleid, gemischt mit einer tüchtigen Portion Schadenfreude, erwarten konnte, gute Ratschläge vielleicht noch, die zu spät kamen, jetzt, nachdem Oskar sie endgültig verlassen hatte. Diese Ratschläge aber wollte sie nicht hören. Daß sie es zu diesem Bruch eben nicht hätte kommen lassen dürfen, das wußte sie schließlich selber! Und sie wollte sich nicht Vorhalten lassen, was sie alles falsch gemacht habe, denn auch darüber war sie sich klargeworden.
Noch nie in ihrem Leben war Therese so verzweifelt gewesen, und es gab nichts, womit sie sich hätte trösten können. Jetzt hatte sie zwar die Freiheit, nach der sie sich so oft heimlich gesehnt, aber sie wußte nichts damit anzufangen, sie wußte nicht einmal mit sich selbst etwas anzufangen. Einmal lief sie ruhelos durch die Wohnung, dann setzte sie sich für einen Augenblick nieder, und immer wieder kamen ihr die Tränen. Sie konnte es noch nicht fassen, daß dies nun das Ende war, das Ende einer langen und, wie es ihr jetzt schien, so harmonischen Ehe. Sie konnte nicht begreifen, wie schnell alles gekommen war. Oskar konnte sie doch nicht einfach verlassen, so,
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