Mit Freuden begraben – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Gervase-Fen-Serie (German Edition)
Fenstern, umgeben von mysteriösen, unidentifizierbaren Haufen von etwas, das möglicherweise Baumaterial war. Auf dem Aushängeschild, sichtbar im Licht, das durch die mit Gardinen verhängten Fenster der Bar fiel, waren düstere Unterwassertiefen und sich schlängelnde Algen abgebildet. Von diesem Hintergrund hob sich ein silberfarbenes, nicht weiter spezifiziertes und im Profil abgebildetes Meerestier ab, das teilnahmslos auf irgendeinen Gegenstand jenseits des Schildes starrte.
Während Fens Taxi vor dem Eingang anhielt, drang Lärm aus dem Gebäude, der einen Tumult vermuten ließ; hin und wieder war deutlich eine durchdringende Frauenstimme herauszuhören.
»Für mich klingt das, als hätten sie bereits von dem Irren erfahren«, sagte das Mädchen. »Ich werde mit Ihnen hineingehen, nur für den Fall, dass Sly dort ist.«
Von innen erwies sich die Herberge als weitaus einnehmender als von außen. Es gab nur einen Schankraum, hatte man doch die mühselige Unterteilung in ›Gästelounge‹ und ›öffentliche Bar‹ vermieden. Dieser Schankraum jedoch war groß und weitläufig und erstreckte sich über die halbe Länge und fast die gesamte Breite des Hauses. Die Eichentäfelung, die offenbar von einem wesentlich älteren Gebäude stammte, war im Faltwerkstil geschnitzt. Verblichene, aber dennoch fröhliche Chintzvorhänge verhüllten die Fenster, unter der Decke durchzog ein schwerer Balken den Raum, und flache Kissen minderten die Unbequemlichkeit der Stühle und Bänke aus Eichenholz zumindest teilweise. Die Raumdekoration bestand zum größten Teil aus belanglosen Drucken von Jagdszenen aus dem neunzehnten Jahrhundert, auf denen feiste Gentlemen auf den Rücken unglaublich großer, knochiger Pferde zu sehen waren. Davon abgesehen hing über dem Kamin eine Leinwand, die so groß war, dass sie so etwas wie das Kronjuwel der Sammlung bildete.
Es handelte sich um ein Seestück. Im Vordergrund waren einige Männer in Ölzeug auf einem schmalen Streifen Strand damit beschäftigt, etwas an Land zu ziehen, das so ähnlich aussah wie ein einfaches Rettungsboot. Zur Linken lag ein Hafen mit einer Mole, und der bedrohliche Himmel darüber kündigte das Herannahen eines Unwetters an. Der Rest des zur Verfügung stehenden Platzes – und der war beträchtlich – wurde von einer sturmgepeitschten, mit weißen Schaumkronen bedeckten See eingenommen, auf der eine Reihe von Segelbooten in verschiedene Richtungen unterwegs waren.
Wie Fen erfahren sollte, stellte diese lebhafte Darstellung unter den Stammgästen des Inns einen unerschöpflichen Streitpunkt dar. Vom Standpunkt eines Seemannes aus betrachtet hatte sich eine solche Szene auf Gottes Erde nie zugetragen, und könnte es auch nie. Diese Möglichkeit schien jedoch in Sanford Angelorum noch keinem in den Sinn gekommen zu sein. Nach dem festen Glauben der Bewohner musste es sich, hatte der Künstler es doch auf diese Weise gemalt, auf ebendiese Weise zugetragen haben. In der Folge postulierte man verworrene und wenig einleuchtende Methoden der Navigation, um das Geschehen zu erklären. Zugegebenermaßen wurde die Diskussion in einem Fachjargon geführt, den die Sprecher ebenso wie die Zuhörer nur unzureichend beherrschten; der Durchschnittsengländer wird sich aber Unkenntnis in Fragen der Seefahrt ebenso wenig eingestehen wie seine Unkenntnis in Bezug auf Frauen.
»Nein, nein; ich sag dir doch, der Schoner da, der luvt die Leeküste an.«
»Und was ist dann mit dem Zweimaster? Was ist mit dem Zweimaster?«
»Das ist kein Zweimaster, Fred, das ist ’ne Ketsch.«
»Er wär nicht komplett aufgetakelt, wenn er die Leeküste anluven wollte.«
»Hör mal, da ist Norden, siehst du, und das bedeutet, dass der Wind aus Nord-Nordost kommt.«
»Und wie zum Teufel willst du dann erklären, dass die Welle über die Mole schwappt?«
»Das ist die Strömung.«
»Die Strömung, sagt er. Stell dich nicht blöd, Bert, wie soll eine Welle denn eine Strömung sein?«
»Eine Strömung . Auch nicht schlecht.«
Zu dem Zeitpunkt, als Fen zum ersten Mal seinen Blick auf das Objekt richtete, hatte es jedoch für die Stammgäste des Inns vorübergehend seine Anziehungskraft verloren. Der Grund dafür war eine ältere Dame mit gelbbrauner Perücke, die inmitten eines Zuhörerkreises zusammengesackt auf einem Stuhl saß, ebenso aufgeregt wie wirr eine Geschichte zum Besten gab und währenddessen immer wieder an ihrem Brandy nippte.
»Ob ich Angst hatte?«, fragte sie gerade.
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