Mit freundlichen Küssen: Roman (German Edition)
die Beine aus dem Bett.
Leider muss ich auch diesen Plan gegen zwölf wieder über Bord werfen. Es gibt einfach zu viel zu tun, und meine Pause verbringe ich gemeinsam mit Benjamin Walsenfels am Schreibtisch. Benjamin hat am selben Tag wie ich bei »Wisenberg Consulting« angefangen und vorher eine ganz ähnliche Ausbildung absolviert: Studium der internationalen BWL, gefolgt von diversen Auslandspraktika. Schulter an Schulter haben wir den Job angetreten, wobei mir seine Schulter gerade mal bis zur Brust reichte. Ich bin nun mal eine große Frau und trug damals gern sieben Zentimeter hohe Schuhe zum viel zu kurzen Kostüm. Am Anfang waren wir uns nicht unbedingt sympathisch. Er musterte mich missbilligend aus wasserblauen Augen unter einem blonden Bürstenhaarschnitt, und seine laute, aggressive Art schüchterte mich anfangs ein. Aber irgendwie haben wir uns zusammengerauft. Ich verzichtete mit der Zeit auf hohe Absätze und gewann Selbstvertrauen, und Benjamin zollte mir schließlich einen gewissen Respekt. Nach meiner Beförderung zur Managerin hatte ich allerdings kurzzeitig das Gefühl, dass sich unser Verhältnis wieder abkühlte. Möglicherweise war das aber auch Einbildung. »Du redest dir das ein, weil du tief in dir drin Schuldgefühle hast, dass du als Frau schneller Karriere machst als ein dir gleichgestellter Mann«, sagt meine Schwester Christiane immer.
Gerade stellen wir einen ersten Entwurf der Maßnahmenplanung auf, als Benjamins Telefon klingelt.
»Entschuldige, das ist meine Frau«, sagt er nach einem kurzen Blick auf das Display, und ich nicke verständnisvoll. »Hallo Süße«, spricht er in den Hörer und wendet sich ein wenig von mir ab. Verstohlen betrachte ich ihn von der Seite. Wie immer trägt er einen tadellos sitzenden Anzug, heute in Dunkelbraun mit einem rosa Hemd und gleichfarbiger Krawatte. Ob seine Frau dieses Outfit für ihn ausgesucht hat? Die redet gerade ohne Punkt und Komma, während Benjamin nur hier und da ein »Hmm«, »Ach« und »Soso« fallen lässt. In diesem Moment fällt mir ein, dass ich die Unterbrechung nutzen könnte, um Simon anzurufen. Selbst wenn er gerade im Unterricht sein sollte, so kann ich immerhin eine Nachricht auf seine Mailbox sprechen. Gerade will ich nach meinem Blackberry greifen, als Benjamin sagt:
»Süße, ich stecke hier mitten in einer wichtigen Besprechung, ich rufe dich heute Nacht an. Bis dann, tschüss!« Und noch ehe seine Frau die Chance zum Widerspruch oder auch nur einer Verabschiedung hat, legt er auf und wendet sich mir wieder zu. »Entschuldige, wo waren wir?« Bei so viel Pflichtbewusstsein wage ich es nicht, nun selber um eine kleine Unterbrechung zu bitten, und lasse das Blackberry sinken.
Ich bin ein schlechter Mensch! Es ist Sonntagmittag, und ich lande gerade auf dem Hamburger Flughafen. Ich habe die anstrengendste Woche meines bisherigen Arbeitslebens hinter mir. Außer Peter ist noch ein anderer Consultant aus dem Team ausgefallen, Martin Sommer, der mit einer Salmonellenvergiftung im Krankenhaus liegt. Die ganze Woche habe ich nicht ein einziges Mal bei Simon angerufen. Und ganze drei SMS geschrieben. Die zweite am Freitagabend:
LIEBSTER SIMON, ES TUT MIR SO LEID, ABER WIR MÜSSEN MORGEN ARBEITEN, KOMME AM SAMSTAG MIT DER LETZTEN MASCHINE. DEINE VIVI.
Dann eine gestern Abend:
LIEBSTER SIMON, ES TUT MIR SO LEID, ES HAT LÄNGER GEDAUERT, ICH KOMME ERST MORGEN WIEDER. ABER WIR MACHEN UNS EINEN GANZ SCHÖNEN SONNTAGABEND, JA? DEINE VIVI.
Ich kann es ihm noch nicht einmal verübeln, dass er mir darauf nicht geantwortet hat. Die erste SMS lautete nämlich:
GANZ BESTIMMT, VERSPROCHEN!!!
Und war die Antwort auf seine SMS von Mittwochvormittag:
LIEBE VIVI, BITTE RUF MICH HEUTE ABEND AN. ICH MUSS UNBEDINGT MIT DIR SPRECHEN. ICH VERMISSE DICH! DEIN SIMON.
Während ich im Taxi sitze, starre ich auf diese Nachricht. Ich bin ein solcher Hornochse! Eigentlich lohnt es sich ja gar nicht, für einen halben Tag nach Hause zu fliegen, wo ich doch morgen um halb sieben schon wieder zurück nach München muss, aber ich brauche wenigstens einen Abend zu Hause. Mit Simon. Ich bin so erschöpft, dass ich heulen könnte. Zum vierten Mal hintereinander versuche ich, ihn anzurufen, aber es geht nur die Mailbox dran. Vermutlich ist er so sauer, dass er sein Telefon einfach ausgeschaltet hat. Und ehrlich gesagt kann ich ihn sogar verstehen. Auch wenn ich selber in tausend Jahren mein Handy nie, nie, niemals ausschalten würde.
»Hallo
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