Mit freundlichen Küssen: Roman (German Edition)
stürme die Treppe hinunter.
Als ich die Haustür öffne, weht mir ein kalter Wind ins Gesicht. Dicke Schneeflocken tanzen durch die Luft, und die dunkle, von Altbauten gesäumte Straße schimmert wie mit Puderzucker bestäubt. Auch die kahlen Linden haben ein weißes Kleid bekommen. Die rundliche Verkäuferin aus der Bäckerei gegenüber winkt mir fröhlich zu, während sie die Tür aufschließt, ansonsten wirkt unser Stadtteil zu dieser nachtschlafenden Zeit noch wie ausgestorben. Einmal ausschlafen, denke ich seufzend, während ich in meinen halbhohen Pumps vorsichtig auf das wartende Taxi zustöckele. Schneeränder an meinen Schuhen kann ich wirklich nicht gebrauchen. Der dunkelhaarige Taxifahrer steht lässig an sein Fahrzeug gelehnt und raucht eine Zigarette, die er jetzt im Aschenbecher ausdrückt, um mir meinen Koffer abzunehmen.
»Dann wollnwer ma, wa?«, fragt er gut gelaunt und öffnet mir mit Schwung die Tür.
»Ja, danke!« Ich nehme auf dem Rücksitz Platz. »Zum Flughafen, bitte.«
»Allet klar!« Mit quietschenden Reifen geht die Fahrt los, während ich zu unserer Wohnung im zweiten Stock hochsehe. Doch die roten Vorhänge rühren sich nicht. Seufzend lehne ich mich in den Sitz zurück und schließe die Augen. Was für ein Montagmorgen. Aber es wird trotzdem eine gute und erfolgreiche Woche werden, bete ich vor mich hin. Ich darf mich jetzt nicht ablenken lassen, denn in München leite ich zur Zeit mein erstes Projekt als Managerin für »Wisenberg Consulting«. Das Rechnungswesen der Vereinsbank wird auf internationale Rechnungslegung umgestellt, unsere Vorstudien stehen kurz vor dem Abschluss, und bis zur Präsentation ist noch eine Menge zu tun. Während sich das Taxi seinen Weg durch die kreuz und quer parkenden Autos bahnt, warte ich auf den aufgeregten Hüpfer in der Magengegend, der sich früher immer eingestellt hat, wenn ich an meinen Job dachte. Stattdessen spüre ich Übelkeit aufsteigen. Was ist denn nur los mit mir? Ich liebe doch meinen Job, ich lebe für ihn. Seit Jahren widme ich ihm all meine Energie. Wenn Simon doch bloß verstehen würde …
»Oh nein«, schreie ich plötzlich und reiße die Augen auf. Mein Fahrer zuckt erschreckt zusammen und reißt das Lenkrad herum. Der Wagen beginnt bedrohlich zu schlenkern und hinter uns ertönt ein wahres Hupkonzert. Mit aufheulendem Motor überholt uns rechts ein schwarzer Mercedes, dessen Insasse sich unmissverständlich an die Stirn tippt und mit hochrotem Kopf Verwünschungen ausstößt. Ich sitze immer noch wie erstarrt mit kerzengeradem Rücken da, während der Taxifahrer entschuldigende Gesten in sämtliche Richtungen vollführt.
»Jute Frau«, sagt er dann kopfschüttelnd, »watt brüllen Sie denn so?«
»Nichts, es tut mir Leid«, flüstere ich atemlos.
»Sie sehn nich jut aus, kann ich Ihnen sagen«, meint er besorgt, und unsere Augen treffen sich im Rückspiegel.
»Es ist alles in Ordnung«, beeile ich mich zu versichern. Soeben passieren wir das Schild, das den Hamburger Flughafen ankündigt. Nur noch eineinhalb Kilometer. Eindeutig zu spät, um noch umzukehren, und das erste Päckchen meines Adventskalenders zu öffnen.
Kapitel 2
Als ich am selben Abend in mein Hotelbett sinke, ist es bereits nach ein Uhr nachts. Erschöpft schließe ich die Augen. Warum muss dieser dämliche Peter Krüger sich auch ausgerechnet jetzt einen Bandscheibenvorfall zuziehen? Nun bleibt noch mehr Arbeit an mir hängen, denke ich gereizt. Und Simon habe ich schon wieder nicht angerufen, und um diese Zeit sollte ich das vielleicht auch besser nicht mehr tun. Lieber eine SMS! Ich greife nach meinem Blackberry und überlege angestrengt. Soll ich mich dafür entschuldigen, dass ich (mal wieder) mein Versprechen an ihn nicht gehalten habe? Oder einfach eine zärtliche Gute-Nacht-SMS schreiben?
Irgendwann muss ich wohl eingeschlafen sein, denn das Nächste, was ich höre, ist der penetrante Weckruf meines Blackberrys, das jetzt irgendwo unter meiner linken Brust vibriert. Kaum habe ich mich aus dem Laken gewühlt und einen Blick auf die begonnene Kurznachricht geworfen: »Liebster Simon, ich …«, sitzt mir auch schon das schlechte Gewissen im Nacken. Was ist bloß los mit mir? Eine kurze SMS an meinen Freund, das muss doch wohl drin sein. Ich schwöre, mir heute eine ganze Stunde für die Mittagspause freizuschaufeln, um wenigstens in Ruhe mit ihm telefonieren zu können. Mit diesem Vorsatz geht es mir ein wenig besser, und ich schwinge
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