Mit Haut und Haar: 6. Fall mit Tempe Brennan
nichts dagegen, wenn du ihn mitbringst. Und er leistet dir Gesellschaft, damit du nicht alleine bist.«
»Im Stadthaus ist Boyd also nicht willkommen?«
»Es ist nicht so, dass er unwillkommen ist. Lijas Vermieter …«
Von irgendwo tief im Wald drang Boyds aufgeregtes Bellen zu uns.
Sekunden später ein Schrei, der einem das Blut gefrieren ließ.
Und dann noch einer.
4
Mit rasendem Herzen sprang ich von meinem Stuhl auf.
Die anderen Gäste nahm ich wahr wie auf einem Split-Screen. Die auf der Hausseite des Bluegrass-Quartetts schlenderten weiter umher und unterhielten sich und aßen, ohne etwas von der Tragödie mitzubekommen, die sich da möglicherweise im Wald abspielte. Die auf der Scheunenseite bildeten ein erstarrtes Tableau, die Münder geöffnet, die Köpfe in die Richtung der schrecklichen Geräusche gedreht.
Ich bahnte mir einen Weg durch Gartenstühle und Decken und Menschen und rannte auf die Schreie zu. Ich hörte, dass Katy und andere mir dicht auf den Fersen waren.
Boyd hatte noch nie einem Kind etwas getan, noch nicht einmal eins angeknurrt. Aber es war heiß. Er war aufgeregt. Hatte ein Kind ihn provoziert oder verwirrt? War der Hund plötzlich aggressiv geworden?
O Gott.
Vor meinem geistigen Auge sah ich Bilder von Hundeopfern. Klaffende Wunden, aufgerissene Kopfhäute. Angst durchzuckte mich.
Hinter der Scheune entdeckte ich eine Lücke zwischen den Bäumen und bog auf einen schmalen Pfad ein. Äste und Zweige rissen an meinen Haaren und zerkratzten mir die Haut auf Armen und Beinen.
Das Kreischen wurde schriller, durchdringender. Die Pausen blieben aus, die einzelnen Schreie verschmolzen zu einem Crescendo aus Angst und Panik.
Ich rannte weiter.
Plötzlich hörte das Schreien auf. Die Stille war noch beängstigender als das Geschrei.
Nur Boyd bellte hektisch und unvermindert weiter.
Der Schweiß auf meinem Gesicht wurde kalt.
Augenblicke später entdeckte ich die Kinder, sie kauerten zusammengedrängt hinter einer mächtigen Hecke. Durch eine Lücke im Laub sah ich, dass die beiden Mädchen einander umklammert hielten. Der Junge hatte die Hand auf Bible Girls Schulter.
Der Junge und das kleinere Mädchen starrten Boyd an, die Gesichter verzerrt vor fasziniertem Abscheu. Bible Girl hatte die Augen fest geschlossen und drückte sich die Fäuste auf die Lider. Hin und wieder drang ein unwillkürliches Schluchzen aus ihrer Brust.
Boyd war bei ihnen auf der anderen Seite der Hecke, er sprang vor, wich dann wieder zurück und schnappte nach etwas ungefähr einen Meter vorn Wurzelwerk der Hecke entfernt. Alle paar Sekunden hob er den Kopf und stieß ein schrilles Bellen aus. Seine Nackenhaare waren aufgestellt, was ihn aussehen ließ wie einen rotbraunen Wolf.
»Seid ihr Kinder in Ordnung?«, keuchte ich und zwängte mich durch die Lücke in der Hecke.
Drei Köpfe nickten ernst.
Katy und Palmer und einer der McCranie-Söhne kamen herbeigerannt.
»Ist jemand verletzt?«, japste Katy.
Dreifaches Kopfschütteln. Ein winziger Schluchzer.
Bible Girl rannte zu McCranie, schlang die Arme um seine Taille und drückte sich an ihn. Er strich ihr über den schiefen Scheitel zwischen ihren Zöpfen.
»Alles okay, Sarah. Nichts passiert.«
McCranie hob den Kopf.
»Meine Tochter ist recht sensibel.«
Ich wandte meine Aufmerksamkeit dem Hund zu.
Und wusste sofort, was los war.
»Boyd!«
Boyd wirbelte herum. Als er Katy und mich sah, rannte er zu uns, stupste meine Hand mit der Schnauze an, sprang dann zurück zur Hecke und stellte wieder die Nackenhaare auf.
»Halt!«, rief ich und bückte mich, um mein Seitenstechen zu lindern.
Wenn Boyd von der Weisheit eines an ihn gerichteten Befehls nicht überzeugt ist, lässt er die langen Haare kreisen, die ihm als Augenbrauen dienen. Das ist seine Art, zu fragen: »Bist du verrückt?«
Boyd drehte sich um und tat genau das.
»Boyd, sitz!«
Boyd wirbelte herum und bellte wieder.
Sarah McCranie umschlang ihren Vater noch fester. Ihre Spielkameraden starrten mich mit Augen wie Untertassen an.
Ich wiederholte meinen Befehl.
Boyd drehte den Kopf und wiederholte seinen Augenbrauentrick, diesmal mit Nachdruck. »Bist du völlig durchgedreht?«
»Boyd!« Die linke Hand auf den Oberschenkel gestützt, richtete ich den rechten Zeigefinger auf seine Schnauze.
Boyd legte den Kopf schief, blies Luft durch die Nase und setzte sich.
»Was ist denn los mit ihm?« Katy keuchte so heftig wie ich.
»Unser Hundegenie glaubt wahrscheinlich, er hat die
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