Mit Haut und Haar: 6. Fall mit Tempe Brennan
verschwundene Kolonie von Roanoke entdeckt.«
Boyd drehte sich wieder zur Hecke um und legte die Ohren an; ein langes, leises Knurren drang tief aus seiner Brust.
»Was ist denn?«
Ich ignorierte die Frage meiner Tochter und bahnte mir einen Weg durch Wurzeln und Unterholz. Als ich mich ihm näherte, sprang Boyd auf und sah mich erwartungsvoll an.
»Sitz.«
Boyd setzte sich wieder.
Ich kauerte mich neben ihn.
Boyd sprang auf, sein Schwanz stand steif und zitternd ab.
Mich packte das Grauen.
Boyds Fund war viel größer, als ich erwartet hatte. Seine letzte Entdeckung war ein zwei oder drei Tage totes Eichhörnchen gewesen.
Ich schaute den Hund an. Er erwiderte meinen Blick. Das viele Weiß in seinen Augen war ein Indiz für seine Aufregung.
Als ich mich dann wieder dem Haufen zu meinen Füßen zuwandte, bekam auch ich ein ungutes Gefühl. Ich hob einen Stock auf und stach in die Mitte des Fundes. Plastik platzte, und ein Gestank wie von verfaulendem Fleisch stieg aus den Blättern. Fliegen summten und schwirrten, und ihre Körper schillerten in der schwülfeuchten Luft.
Boyd, der selbst ernannte Leichenspürhund, schlägt wieder zu.
»Scheiße.«
»Was ist?«
Ich hörte Rascheln, als Katy sich zum Hund und zu mir durchschlug.
»Was hat er gefunden?« Meine Tochter kauerte sich neben mich, schnellte dann aber wieder hoch ; als hinge sie an einem Bungee-Seil. Sie hob die Hand zum Mund. Boyd wirbelte um ihre Beine.
»Was zum Teufel ist denn das?«
Palmer kam zu uns.
»Irgendwas Totes.« Nach dieser genialen Beobachtung hielt Palmer sich die Nase mit Daumen und Zeigefinger zu. »Menschlich?«
»Ich bin mir nicht sicher.« Ich deutete auf halb entfleischte Fingerglieder, die aus einem von Boyd verursachten Riss im Plastik ragten. »Jedenfalls kann das kein Hund oder Reh sein.«
Ich schätzte das Volumen des halb vergrabenen Sacks ab. »Es gibt nicht viele andere Tiere, die so groß sind.«
Ich scharrte Dreck und Blätter weg und untersuchte die Erde darunter.
»Keine Spur von Fell.«
Boyd kam näher, um zu schnuppern. Ich schob ihn mit dem Ellbogen weg.
»Ach verdammt, Mom. Nicht bei einem Picknick.«
»Ich kann nichts dafür.« Ich deutete mit der Hand auf Boyds Fund.
»Musst du jetzt die ganze Leichenbeschauer-Nummer abziehen?«
»Vielleicht steckt ja gar nichts dahinter. Aber für den unwahrscheinlichen Fall, dass doch etwas dahinter steckt, müssen die Überreste ordentlich geborgen werden.«
Katy stöhnte.
»Hör mal, ich mag das genauso wenig wie du. Ich wollte eigentlich am Montag zum Strand fahren.«
»Das ist so peinlich. Warum kannst du nicht so sein wie andere Mütter? Warum kannst du nicht einfach nur …« Sie schaute zu Palmer, dann wieder zu mir. »… Plätzchen backen?«
»Mir sind Fig Newtons lieber«, blaffte ich und richtete mich auf.
»Vielleicht wäre es das Beste, wenn Sie die Kinder zurückbringen«, sagte ich zu Sarahs Vater.
»Nein!«, rief der Junge. »Das ist ein Toter, gell? Wir wollen sehen, wie Sie die Leiche ausgraben.« Sein Gesicht war gerötet und glänzte vor Schweiß. »Wir wollen wissen, wen Sie verdächtigen.«
»Ja!« Das kleine Mädchen sah aus wie Shirley Temple in einem pinkfarbenen Jeans-Overall. »Wir wollen die Leiche sehen!«
Innerlich über die allgegenwärtigen Krimiserien fluchend, wählte ich meine Worte mit Bedacht.
»Es wäre für den Fall sehr hilfreich, wenn ihr eure Gedanken sammeln, über eure Beobachtungen reden und dann eine Aussage machen würdet. Könnt ihr das tun?«
Die beiden sahen einander mit Augen an, die inzwischen Suppentellergröße hatten.
»Ja«, sagte Shirley Temple und klatschte in die pummeligen Hände. »Wir machen coole Aussagen.«
Der Transporter der Spurensicherung traf um vier Uhr ein. Joe Hawkins, der Todesermittler des Mecklenburg County Medical Examiner, der an diesem Wochenende Dienst hatte, tauchte wenige Minuten später auf. Zu der Zeit hatten die meisten der Gäste der McCranies ihre Decken und Stühle zusammengefaltet und waren gegangen.
Darunter auch Katy, Palmer und Boyd.
Boyds Entdeckung lag hinter der Hecke, die das Anwesen der McCranies von der angrenzenden Farm trennte. Nach Angaben von Sarahs Vater wohnte niemand in dem Nachbarhaus, das einem gewissen Foote gehörte. Auf unser Klopfen und Rufen hin rührte sich niemand, und so brachten wir unsere Ausrüstung über die Zufahrt und den Hof des Anwesens zur Fundstelle.
Während zwei Tatortspezialisten Kameras, Schaufeln, Siebe und
Weitere Kostenlose Bücher