Mit heißer Nadel Jagd auf Kids
,Pferdegesicht’,
und das passt auf unseren Bewusstlosen. Frank Willinger ist erst 29. Sieht er
nicht deutlich jünger aus als Kastl?“
„Als hätte er gestern noch am
Daumen gelutscht“, ergänzte Tim. „Also ist Willinger ausgebrochen. Aber den
andern haben wir im Wald gefunden, bewusstlos, halb tot. Wieso? Und wer sind
Edu und Glatzkopf?“
„Keine Ahnung. Aber hier steht
die Kastl-Willinger-Vorgeschichte. Die beiden haben damals einen Goldtransport
überfallen. Ja, doch! Gold! Nicht Geld! Barrengold! Wie man’s in Banken kaufen
kann. Zwei Wachleute wurden schwer verletzt. Willinger und Kastl raubten 40
Kilo reines Gold. Ein Vermögen. Stell dir vor, Tim, wie viele Ohrringe man
daraus machen könnte.“
„Oder goldene Drehbleistifte!“,
grinste er. „Oder Goldkronen für faulige Zähne.“
„Du hast es nötig! Wo du dir
fast in die Hose machst, wenn du zum Zahnarzt musst. Naja, Karate und Karies
sind eben nicht dasselbe.“
„Nicht ganz. Und dann?“
„Hier steht: Die beiden haben
den Goldschatz irgendwo versteckt. Aber mit keiner Silbe verraten, wo. Das Gold
ist bis heute nicht aufgetaucht. Willinger wurde zu 15 Jahren Freiheitsentzug
verurteilt. Kastl erhielt eine Zwölf-Jahres-Strafe, was ja auch nicht von Pappe
ist, wie! Jetzt — das Ulkige Willinger saß ein in — äh — das Gefängnis heißt:
Butzelburg-am-Walde. War wohl früher mal ein Schloss.“
„Und ist jetzt reserviert für
prominente Straftäter“, vermutete Tim.
„Kann schon sein. Jedenfalls
ist es sehr weit weg von hier. Willinger wurde dorthin gesteckt, weil er in
jenem Kanton noch andere Straftaten beging. Außerdem wollte man ihn fern halten
von Kastl. Denn der, halt dich fest!, sitzt im hiesigen Gefängnis. Ja, hier!
Ausflugshaus nennt es der Schreiber. So ein Witzbold! Kastl ist also hier und nicht getürmt. Also immer noch drin. Nun frage ich mich wirklich: Was hat der im Wald
gemacht?“
„Nichts. Er war ja bewusstlos.“
Tim zuckte gleich dreimal die Achseln. „Es gibt nur eine Erklärung. Inzwischen
ist auch er entflohen. Edu und Glatzkopf sind seine Komplicen. Seine
Fluchthelfer. Sie haben ihn rausgeholt. Aber dabei ging was schief. Kastl fiel
auf die Birne, hatte einen Gallenanfall, oder sein schwaches Verbrecherherz
wollte nicht mehr. Jedenfalls war er plötzlich der Schlappmann, wie Glatzkopf
sehr richtig feststellte. Und mit einem Toten wollten sich die Fluchthelfer
nicht abmühen. Deshalb entledigten sie sich der vermeintlichen Leiche, und
Kastl hätte unterm Farnkraut das Zeitliche gesegnet, wären wir nicht dort
aufgetaucht. Sollst sehen, Pfote, morgen steht in der Zeitung, dass auch Kastl
die Staatspension zu einem Ausflug verließ. Womit das Ausflugshaus seinem Ruf
alle Ehre macht.“
„Uns wird man ehren, weil wir
zur Aufklärung beitragen“, sie lächelt. „Wir können die Fluchthelfer
beschreiben. Und das Fluchtauto. Es war schwarz, oder? Du weißt doch das
Kennzeichen noch?“
„So genau wie mein
Geburtsdatum.“
Gaby schnupperte nochmals an
der Zeitung.
„Sie wohnt hier“, sagte sie.
„Was? Wen meinst du?“
„Die Geisel von vor zwei
Jahren: Agathe Busch. Sie erlitt damals einen Schock, kann nur noch halbtags
arbeiten — als Serviererin — und quält sich mit Alpträumen. Jetzt, Tim, gehen
wir zur Polizei.“
Sie stand auf, strich ihren
Rock glatt und die blonde Knistermähne über die Schultern zurück, luchste dann
zur Tür. Aber dort surrte nur eine träge Fliege, die vermutlich von den
Pferdeställen hereingekommen war.
Raaatsch!, riss Gaby Seite 3
aus der gestrigen Zeitung.
„Ist ja sowieso alter Schnee“,
meinte sie. Das Blatt wurde auf handliches Format gefaltet und in ihre Umhängetasche
geschoben.
*
Die Polizei hauste in einem
roten Backsteingebäude, das wie eine deutsche Grundschule aussah. Aber so
lustig ging’s hier nicht zu. Gaby lächelte lieblich und übernahm die
Wortführung: erst bei einem Uniformierten, der verständnislos den Kopf
schüttelte und dann nicht zuständig war. Er reichte sie weiter an einen
Vorgesetzten mit Bauchansatz und Berggeistbart. Auch der lauschte aufmerksam,
lächelte belustigt, erklärte, von einem Ausbruch aus dem hiesigen Gefängnis sei
überhaupt nichts bekannt, wollte aber auch dem Chef einen Spaß gönnen, und
schickte das Pärchen in die obere Etage. So landeten sie bei Inspektor
Ruritzli.
Er saß hinter seinem
Schreibtisch, war bleich, schmal und hatte eine dünnbelegte Glatze: dünn belegt
mit sardellenartigen
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