Mit heißer Nadel Jagd auf Kids
Haarsträhnen. Er rauchte Pfeife, weil das für einen
Kriminalbeamten offenbar Vorschrift ist. Aber es bekam ihm nicht. Deshalb
schluckte er Pillen gegen Sodbrennen, und der Tee in seiner Tasse war fast so
bleich wie er.
Gaby beugte sich etwas vor, um
lesen zu können, was in braunen Buchstaben auf der Teetasse stand: „St.
Moritz-Palast-Hotel.
Aber, aber...!, dachte Tims
Freundin. Hat er Geschirr geklaut?
Ruritzli war ein freundlicher
Mensch. Er hörte aufmerksam zu. Gaby entfaltete die Seite 3, um ihren Bericht
anschaulich zu machen. Und Tim unterstrich seine Worte mit einer Art
Schattenboxen.
„Sehr interessant“, sagte
Ruritzli, „und für mich völlig neu.“ Er ließ den Pfeifenstiel zwischen den
Zähnen. „Der Strafvollzug in unserer Justizvollzugsanstalt ist manchmal etwas
schlampig. Das muss ich einräumen. Ja, das muss ich. Aber der letzte
erfolgreiche Ausbruch liegt acht Jahre zurück. Bei Vorfällen sind wir natürlich
die ersten, die benachrichtigt werden. In letzter Zeit — hm — gerieten einige
der Justizbeamten in Verruf. Ja, in Verruf. Einige schwarze Schafe gibt es eben
überall.“ Er lächelte. „Das ist wahrscheinlich in Deutschland nicht anders.“
Auch Tim und Gaby lächelten,
vermieden es aber, Abfälliges über ihre Heimat zu äußern.
„Wegen Willinger, dem
Ausbrecher, wollte ich ohnehin mit Kastl reden“, fuhr Ruritzli fort. „Über das
Versteck der Beute. Vielleicht ändert der Kerl seinen Sinn, wenn er vom
Ausbruch des Komplicen erfährt. Immerhin ist das Gold, die Beute, noch
versteckt. Kastl behagt es bestimmt nicht, wenn Willinger damit abschiebt.
Vierzig Kilo Gold! Das reicht, um sich zur Ruhe zu setzen.“
Mit Waschbrettstirn dachte er
einen Moment an seinen eigenen Ruhestand, den ihm der Staat bestimmt nicht
vergoldete. Nur eine schmale Pension erwartete ihn.
Entschlossen erhob er sich.
„Als Zeugen könnt ihr mich zum Gefängnis begleiten. Ihr müsst Kastl, der ganz
bestimmt in seiner Zelle sitzt, identifizieren. Ich glaube, ihr habt einen
Doppelgänger gesehen.“
Bevor sie das Polizei-Gebäude verließen,
beauftragte er einen seiner Leute, den Halter der schwarzen Limousine über die
Zulassungsstelle zu ermitteln. Dann stieg er mit Tim und Gaby in einen
Dienstwagen, der wie das gesuchte Fahrzeug aussah.
Sie fuhren ungefähr 20 Minuten.
Die Strafvollzugsanstalt lag außerhalb. Von weitem sah sie aus wie ein
verkommenes Freizeitheim. Der Wald reichte bis an die grauen Mauern. Dem Auge
boten sich: stählerne Pforten, Türme, die Dächer der Gebäude und das Haupttor.
Ruritzli sagte, das
Ausflugshaus wäre 125 Jahre alt und keine Zierde des Fortschritts.
An der Außenmauer parkten zwei
Dutzend Wagen. Der mit der freundlichsten Farbe war dunkelbraun.
Ruritzli war hier bekannt wie
der Direktor persönlich. Der Uniformierte in der Portiersloge scherzte mit ihm,
und die Besuchserlaubnis wurde gehandhabt wie in einem Museum. Ruritzli
erledigte den Papierkram für sich und seine Jugendlichen Begleiter.
„Und um wen geht’s heute,
Inspektor?“, fragte der Justizbeamte.
„Um Konrad Kastl.“
„Aha! Wollen Sie ihn
vernehmen?“
„Allerdings.“
„Das wird schwierig sein. Er
ist krank.“
„Krank?“ Ruritzli blickte den
Uniformierten an, dann Tim und Gaby. „Was fehlt ihm denn?“
„Er wurde operiert. Nichts
Schlimmes. Den Blinddarm haben sie ihm rausgenommen. Vorgestern, glaube ich. Jedenfalls
liegt er in unserem Hospital.“
Der Inspektor atmete tief. „Und
dort liegt er noch?“
„Klar.“ Der Justizbeamte
missverstand die Frage. „Es bestand kein Grund, ihn ins Stadtkrankenhaus zu
verlegen. Sie wissen ja: Unser Hospital ist klein, aber fein. Und bei harmlosen
Fällen...“
Zehn Minuten später betraten
Ruritzli, Tim und Gaby die Krankenabteilung des Ausflugshauses.
Es war ein flaches Gebäude,
dicht an der rückseitigen Mauer gelegen. Ein junger Arzt tat Dienst. Er war
noch frisch genug, um sich für Gaby zu interessieren. Seine schmachtenden
Blicke umhüllten sie wie gefärbte Luft. Aber er war auch fähig zu sachlicher
Auskunft. Kastl sei, berichtete er, zurzeit der einzige Patient. Leider hätte
sich bei ihm eine Komplikation eingestellt.
„Eigentlich hätte ich jetzt
frei“, sagte er. „Aber Jürgensen verständigte mich vor einer Stunde, dass Kastl
bewusstlos sei. Ich kam sofort her. Kastl hatte einen Schwächeanfall.
Kreislaufversagen. Erst sah es bedrohlich aus. Aber jetzt haben wir die Sache
im Griff. Ich glaube, wir können ihn
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