Mit Herz und Skalpell
Tagen wird alles vergessen sein. Zuerst wird ein Sturm über die Klinik hinwegfegen, ja, aber dann –« Sie lächelte Alexandra zu. »Dann werden wir unsere gemeinsame Zeit genießen, und Melanie wird einpacken können.«
Schwungvoll öffnete sich die Tür erneut. Alexandra und Linda fuhren auseinander.
Ein schwer atmender Lennard betrat Alexandras Büro. »Was ist denn hier los? Geht es euch gut? Ich habe laute Schreie gehört, und dann kam Melanie aus deinem Büro gestürmt.« Sein Blick wanderte von Alexandra zu Linda und wieder zurück, und ein Hauch von Röte überzog seine Wangen. Er räusperte sich. »Entschuldigt. Störe ich? Ihr seht Gott sei Dank ganz lebendig aus.«
Alexandra tauschte einen bedeutungsvollen Blick mit Linda. Es war an der Zeit, reinen Tisch zu machen.
»Nein, du störst nicht«, wandte sie sich dann wieder an Lennard. »Ganz im Gegenteil. Wir müssen dir sowieso etwas mitteilen.«
»Okay.« Lennard war unsicher, was er von alledem halten sollte.
Alexandra begann die ganze Geschichte zu erzählen bis hin zum dramatischen Ende, dessen Zeuge Lennard gerade fast geworden war. Als sie fertig war, umarmte Lennard sie herzlich.
»Das freut mich für euch, dass ihr euch endlich gefunden habt. Ihr seid ein tolles Paar.« Auch Linda drückte er an sich. »Glückwunsch.«
»Danke.« Linda freute sich über Lennards ehrliche Begeisterung. Sie hatte ihn ja bisher hauptsächlich als ihren damaligen Praktikumsbetreuer erlebt, weniger als Mitarbeiter oder gar persönlichen Bekannten. Nun begann sie sich zu fragen, ob Alexandra ihre Kollegen falsch einschätzte – ob nicht vielleicht ein toleranteres Klima herrschte als Alexandra glaubte.
Lennards Miene hatte sich inzwischen verfinstert: »Aber Melanie ist echt das Allerletzte. Ihr gehört das Handwerk gelegt.«
»Wenn das so einfach wäre . . .« Alexandra sah ihren Kollegen an und zuckte hilflos mit den Schultern.
»Weißt du, was sie vorhat?«, fragte Lennard.
Alexandra schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Ahnung. Sie könnte die Fotos anonym verbreiten oder direkt um eine Audienz beim Chef bitten. Aber egal, was sie ausheckt, sie wird damit nicht lange warten. So viel ist sicher.«
»Wir sollten wohl auf alles gefasst sein«, meinte Lennard. »Aber denk daran: Ich stehe hinter dir. Und ich werde nicht der Einzige sein.«
Alexandra seufzte. Doch in ihren Augen konnte Linda einen kleinen Hoffnungsschimmer erkennen. Vielleicht würde es Melanie wirklich nicht gelingen, ihre Karriere zu zerstören, wenn die anderen Kollegen so locker reagierten wie Rainer und Lennard . . .
Doch der Showdown würde noch kommen. Das war sicher.
~*~*~*~
S chon zum dritten Mal an diesem Morgen hatte Alexandra ihre Bluse gewechselt. Kritisch betrachtete sie sich im Spiegel.
Linda, die die Nacht bei Alexandra verbracht hatte, war längst fertig angezogen und beobachtete vom Bett aus das Schauspiel ihrer Freundin.
»Kann ich das so anziehen?« Alexandra hob skeptisch eine Augenbraue.
»Du siehst wundervoll aus. Das Rot steht dir ausgezeichnet«, erklärte Linda und hoffte, dass Alexandra ihr aufmunterndes Lächeln bemerkte. »Aber ehrlich gesagt ist es, glaube ich, ziemlich egal, was du heute trägst.«
Alexandra stieß einen lauten Seufzer aus. »Wahrscheinlich hast du recht.« Sie zupfte noch einmal den Kragen gerade. Dann band sie ihre langen Haare zu einem Pferdeschwanz. »Es macht mich wahnsinnig, dass ich nicht weiß, was mich erwartet«, murmelte sie.
Linda ging es nicht anders. Die ganze Nacht hatte sie sich schlaflos von einer Seite zur anderen gewälzt. Erst kurz bevor der Wecker geklingelt hatte, war sie eingenickt. Entsprechend gerädert hatte sie sich beim Aufwachen gefühlt, doch das Adrenalin, das Angst und Aufregung durch ihren Körper pumpten, sorgte schnell dafür, dass sie hellwach wurde.
Was würde heute passieren? Was würde Melanie machen? Wie würde Lindas und Alexandras Umgebung sie in wenigen Stunden wahrnehmen, wie würden ihre Karrieren, ihre Leben aussehen?
»Wie wäre es noch mit einem Schluck Kaffee?«, erkundigte sich Alexandra, die sich endlich vom Spiegel abgewandt hatte.
Linda stand vom Bett auf. »Ja, und vielleicht sollten wir auch noch eine Kleinigkeit essen.« Appetit hatte sie zwar keinen, aber dass sie die bevorstehenden Turbulenzen mit nüchternem Magen aushalten würde, bezweifelte sie.
Alexandra stocherte schließlich ebenso lustlos in ihrem Müsli herum wie Linda. Auch den Kaffee rührte sie kaum
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