Mit Jockl nach Santiago
das wir in einer großräumigen Umfahrung nur aus der Ferne grüßen. Unseren letzten Abstecher in unbekannte Weinberggegenden verdanken wir der Ortschaft Gueberschwihr. Enghäuselig kuschelt es sich zwischen Weinberge, auf die aus schnellziehenden Wolkenlöchern vereinzelte Sonnenstrahlen treffen, die als unruhige Lichtflecken über die Hügel irren und dann und wann eines der Winzerdörfer mit sonniger Auserwähltheit krönen. Gueberschwihr kann sich sehen lassen. Sein properes Dorfbild reiht sich nahtlos ein in jene von Turckheim, Kaysersberg, Riquewihr und Ribeauville, mit dem einen Unterschied, daß hier, sieht man von uns beiden einmal ab, absolute Touristenflaute herrscht. Eine für elsässische Weinorte ungewohnte Stille zeichnet das Dorf aus, nur in den Baumkronen reibt ein warmer Wind gelbgrüne Blätter aneinander, deren Geraschel unseren Streifzug durch Gueberschwihr begleitet. Aus den breiten, offenstehenden Toreinfahrten der Winzerhöfe quellen narkotisierend-schwere Düfte gelagerten Tresters; allein diese Preßrückstände genügen, um uns schließlich vor dem fünften Tor auch ohne halbes Besäufnis fast die Sinne zu vernebeln.
Die Ausnüchterung in frischer Weinbergluft erfolgt auf einem Hintenrumsträßchen nach Hattstatt. Die Ernte ist überall in vollem Gange; Traktoren mit Anhängern rumpeln allenthalben an uns vorbei, schwer beladen mit blau-fruchtiger Last. Plötzlich, inmitten unseres Delirium traubens, lenkt irgendwo am Straßenrand ein anderes Blau unsere Blicke auf sich: das Eicher-blau eines Weinbergschleppers. Wir halten sofort, denn ein Foto für Jockls Familienalbum bietet sich geradezu an, auch ein kleines Geplänkel mit dem Besitzer, der aber das Gespräch bald abwinkt - eine Schlechtwetterperiode sei angesagt, klärt er uns auf, und er müsse zusehen, noch so viele Fuhren wie möglich ins Trockene zu bringen. Oje, Regen, da wird es wohl nichts Rechtes mehr mit unseren Straßburg-Plänen. Doch damit belasten wir uns im Moment nicht, denn Eguisheim kündigt sich an, jener Ort, den uns ein Ehepaar am Campingplatz von Dole als unbedingt sehenswert empfohlen hat. Und wirklich, Eguisheim gelingt es, uns nach längerer Begeisterungsabstinenz wieder völlig aus dem Häuschen zu bringen. Schon bei der Anfahrt von Husseren-les-Châteaux hinunter ins Tal wird in aufschlußreicher Weise der Grundriß der Stadt ersichtlich, die sich in drei konzentrischen Kreisen um eine Burg gruppiert. Unser erster Orientierungsgang gerät zu einer Begegnung mit herrlichstem, wenn auch stark »geschöntem« Mittelalter. Fachwerk reiht sich an Fachwerk, wobei selbst die behäbigsten Bürgerhäuser durch farbige Anstriche und ihr hölzernes Rahmenwerk, das die großen Fassadenflächen in wohlproportionierte Dreiecke und Trapeze teilt, wie zu Theaterkulissen verkleinert wirken. Die Häuserensembles im Zentrum mit ihrem noch recht sommerlichen Blumenschmuck fügen sich in allen erdenklichen Winkeln zu einer Einheit, die die kleine Burg und eine Gedenkkapelle für Papst Leo IX., der hier im 11. Jahrhundert geboren wurde, miteinschließt. Hier startet auch einer dieser lächerlichen Miniaturzüge, mit dem bequemes Touristenvolk durch die Stadt und hinaus in die nähere Umgebung der Weinberge gekarrt wird. Kein Fremdenverkehrsort, der auf sich hält, mutet seinen Besuchern für Besichtigungstouren das eigene Gehwerkzeug zu, sondern verweist auf diese segensreiche Einrichtung. Nachdem sich die eben einem Reisebus entstiegenen Tanten und Onkeln paarweise auf den Bänkchen niedergelassen haben, beginnt aus einem rauschenden Lautsprecher eine weibliche Tonbandstimme, Wissenswertes über die Stadt zu leiern. Beglückt lauschen und lächeln die Fahrgäste, während das Züglein anruckelt - später kehren sie wieder, noch immer lächelnd. Ach, war dieser Ausflug in die Berge reizend und erst dieses ganz niedliche Städtchen. Aber ehrlich, für dieses »niedliche« Eguisheim müßten wir wirklich mehr Zeit anberaumen, also wird es am besten sein, im naheliegenden Turckheim zu übernachten, nahe genug, um morgen für eine ausgiebige Visite wiederzukehren. Leider haben wir die Rechnung ohne den Campingplatzbesitzer in Turckheim gemacht, der uns wie Josef und Maria barsch die Herbergstüre weist. Wolfgang wartet sittsam mit dem Jockl vor der Schranke, derweil ich am liebsten ein Leumundszeugnis offerieren möchte, um Einlaß zu erhalten. Wie ich mir das vorstelle - mit einem Traktor - raunzt mich der unhöfliche,
Weitere Kostenlose Bücher