Mit Jockl nach Santiago
gehaßten Schilderwald kämpfen, der Montbeliard zwecks Orientierung so herrlich üppig umsteht, verlieren wir bald die Übersicht darin, und meine Museumsgelüste verkümmern wie ungegossene Pflänzchen. Montbeliard zehn Kilometer hinter mir zu wissen, wäre mir im Moment wesentlich lieber. Dann allerdings ginge uns auch einiges an Oldtimern durch die Lappen, denn selbst nach kritischster Beurteilung, nimmt das Peugeot-Museum unter seinesgleichen einen besonderen Rang ein. In der Firmen- und Familiengeschichte tappt man zwar zeitweise etwas im Dunkeln, das vermutlich auch gepflegtestes Französisch nicht aufzuhellen vermag, doch bei einem Rundgang zwischen den stolzen Automobilen wird jede dokumentierte Geschichte überflüssig. Man verfolgt sie am besten an der Entwicklung der einzelnen Karossen, angefangen vom antiquierten Kutschengefahrt, weiter über die fortschrittlich gediegene Luxuslimousine bis hin zum kompakten Familientransportmittel. Nicht nur Vierräder, auch Zweiräder, Nähmaschinen, Küchen- und Haushaltsgeräte verschiedenster Art liefen bei Peugeot vom Band. Eine übersichtliche Auswahl davon vermittelt einen kleinen Einblick in die ungeahnte Produktionspalette. Obwohl wir das Museum mit großem Interesse und Spaß erlebt haben, treten wir durch die gläserne Schwingtür nach draußen und erwähnen es mit keinem Wort mehr.
Die restlichen 18 Tageskilometer nach Joncherey verbringen wir schweigsam, müde und erschöpft am Jockl sitzend, die Köpfe und Oberkörper widerstandslos hin- und hergeschüttelt, als wär’ die vorangegangene Besichtigung ein Kraftakt sondergleichen gewesen. Selbst der kleine Aufruhr und das Gemecker einiger Campinggäste, als wir uns unwissenderweise in verbotenem Club-Gelände niederlassen wollen, animiert uns zu keinem erwähnenswerten Kommentar. Mit vielen Anweisungen dirigieren sie uns wie einen störrischen Ochsen an eine andere Stelle, fern aller übriger Gäste und ignorieren uns wie eine Peinlichkeit, von der man abzulenken versucht. Standesdünkel in Dauercamper-Kreisen!
Heute werden wir die Schweiz durchqueren! Dazu brechen wir frühzeitig auf, nachdem Jockl mit einem fürchterlichen Gewieher erneut auftretender Startschwierigkeiten die standesbewußten Bürger aus ihren Träumen geholt hat. Nun beweist es sich wieder und alle werden sich entrüstet wie bestätigend zunicken - das Krakeelen gehört einfach zum niedrigsten Stand. Als typische Vertreter dessen machen wir uns schließlich aus dem Staub.
Kleine Dörfer postieren unseren Weg, alle ohne Café; erst in Rechesy, eine Stunde nach Abfahrt, beruhigt heißer Milchkaffee unsere knurrenden Mägen. Das Dorfwirtshaus füllt der Krach dreier debattierender Männer an der Theke und der kraftvollen Stimme der Wirtin dahinter. Betäubt von den Geräuschen im Raum sitzen wir im sonnenerhellten Staubstrahl, der vom Fenster in einem breiten Block auf den Boden fallt. Zu reden wissen wir nichts, also setzen wir mehr automatisch als aus eigenem Antrieb die Fahrt bald wieder fort. Die Landschaft kennzeichnet bereits jene liebliche Sanftheit, die dem oberelsässischen Sundgau, einem Hügelland zwischen Jura und Vogesen eigen ist. Auch erste Fachwerkhäuser und -gehöfte künden diesen allmählichen Übergang an. Dahlien und Rosen in einigen Gärten schenken dem Herbst letztes Rot und Gelb, und die warme Luft riecht sehr gesättigt nach welkem Laub und umgegrabener Erde. Gedankenleer reduziere ich mich auf Schauen und Schnuppern; dann und wann erinnert ein bekannter Duft an weit zurückliegende Empfindungen, an ein undefinierbares Gefühl aus der Kindheit. In dieser blitzartig aufflammenden Vergangenheit erscheint mir diese Kindheit als mein wirkliches Leben und alles anderes danach als ein Mosaik guter und schlechter Träume.
Ab der Ortschaft Pfetterhouse beginnen wir unsere Schweizer Sprachkenntnisse abzustauben, um einen Kilometer weiter das Land der Eidgenossen gebührend zu begrüßen: »Luag amol Wölfli, do ischs Schwizaländli, a so a netts Fleckli!« - »Hmm, vü Bam homs!« Einen einzigen Zentimeter auf der Straßenkarte dauert unsere »Durchquerung« der Schweiz, eines bewaldeten Zipfels schrankenlosen Staatsgebietes. Hiermit fügen wir der Nationenliste unserer Reise ein weiteres Land hinzu. Das ist nur recht und billig, denn wie jeder weiß, besteht auch eine organisierte vierzehntägige Weltreise im wesentlichen aus einem zweiwöchigen Flug mit Zwischenlandungen zum Auftanken und Umsteigen, was genügt,
Weitere Kostenlose Bücher