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Mit Kurs auf Thule

Mit Kurs auf Thule

Titel: Mit Kurs auf Thule Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten A. Seaver
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oft direkt in die Übermittlung von erlesenen arktischen Waren eingebunden waren.
    Als ein Zeichen seiner besonderen Hochachtung sandte der König von Norwegen 1276 seinem englischen Amtsbruder drei weiße und acht graue Gerfalken, Hermelinfelle und einen kompletten Walkopf mit Barten. Edward II. von England schickte 1315 extra einen Boten nach Norwegen, um Habichte und Falken zu kaufen, und irgendwann zwischen 1337 und 1340 (gerade als die nordischen Grönländer in ihren Exporten nach Norwegen immer zurückhaltender wurden) erklärte sich der Bischof von Bergen nicht in der Lage, König Magnus mit den weißen und grauen Gerfalken zu versorgen, die der König ausdrücklich bei ihm und seinen Kontaktstellen angefordert hatte. Die Rolle flämischer Kaufleute beim Verkauf von Walrosselfenbein, exotischen Pelzen und anderen wertvollen Gütern wird in dem auf fünf Jahre angelegten Handelsvertrag, den die norwegische Krone 1308 mit Flandern abschloss, ebenso deutlich wie in einem Brief aus dem Jahr 1338, den Bischof Hákon von Bergen einem Kontaktmann in Brüssel schickte. Seiner Botschaft hatte er ein Eisbärenfell, sieben Walrosszähne und andere arktische Luxuswaren beigelegt. Er nannte diese Dinge im Brief »Geschenke«, doch waren sie eindeutig eine Lieferung, die ein erfahrener flämischer Kaufmann für den Bischof verkaufen sollte – ebenfalls zu einer Zeit, als die Importe aus Grönland immer seltener wurden. 4

Frühe Märkte und Handelsrouten
    Zu der Frage, auf welche Weise die nordischen Grönländer in den ersten hundertfünfzig Jahren des Bestehens ihrer Kolonie ihre Exportgüter vermarkteten, liegen keine schriftlichen Quellen vor. Jedoch haben wir literarische Hinweise auf frühe Handelsbeziehungen zwischen Norwegen und England vor 900. So kam es etwa 789 an der englischen Südküste zu einem fatalen Missverständnis: Ein lokaler Amtsträger ritt unbekümmert an den Strand, um die gerade angekommenen Wikinger zu begrüßen, weil er sie irrtümlich für friedliche nordische Händler hielt, an die man sich in der Region schon gewöhnt hatte (Kapitel Sechs). In der »Egils Saga«, die im 9. Jahrhundert spielt, hören wir von Egil Skallagrimssons Onkel Thorolf Kveldulfsson, der in Nordnorwegen gewaltsam die Erlöse der sogenannten Finnensteuer an sich gebracht hatte. Seine Feinde gingen selbstverständlich davon aus, dass er diesen Schatz direkt nach England bringen und dort verkaufen würde. Und es gibt die Geschichte über den nordnorwegischen Häuptling und Händler Ohthere (Ottar), der gegen Ende des 9. Jahrhunderts den Hof des englischen Königs Alfred besuchte und den Angelsachsen von seiner früheren Reise rund um das Nordkap bis in das Weiße Meer hinein erzählte. 10
    In weiser Voraussicht hatte Ohthere Geschenke für König Alfred mitgebracht, darunter auch Walrosszähne. Der Gedanke liegt durchaus nahe, dass Ohthere noch weitere Stoßzähne im Reisegepäck hatte, die er in England verkaufen wollte, und dass dies der eigentliche Anlass für seine lange Reise in den Süden war. Nach Norden, am Nordkap vorbei, war er ganz offenbar gefahren, um bei den tributpflichtigen Samen Felle und Walrosszähne für einen späteren Weiterverkauf einzutreiben, denn er rühmte sich nicht seines eigenen Jagderfolgs dort, sondern erklärte ganz offen, er habe Tribute aus den Jagderfolgen anderer eingezogen.
    Ebenso wichtig für eine Diskussion zum frühen Handel mit Produkten aus dem hohen Norden ist Ohtheres Beschreibung seines Besuchs in einem Handelszentrum namens »Sciringesheal« in Südnorwegen, wie wir sie im Zusatz zu König Alfreds angelsächsischer Übersetzung von Orosius’ Geschichtswerk lesen |134| können. Othere beschreibt ziemlich genau dessen Lage und den Zugang per Segelschiff, und dennoch hat sich die Wissenschaft lange darüber gestritten, welchen Ort er überhaupt meinte. Man ging vielmehr lange Jahre allgemein davon aus, dass es in Norwegen vor dem späten 10. Jahrhundert keinen organisierten Handelsplatz, keine Handelsstadt vergleichbar mit Hedeby in Dänemark und Birka in Schweden gegeben habe.
    Zwischen 1950 und 1957 leitete die norwegische Archäologin Charlotte Blindheim die Freilegung von tausend Jahre alten Gräbern in der Nähe der Kleinstädte Larvik und Sandefjord an der Westküste des Oslofjords, wo die natürlichen Gegebenheiten für ein Aufeinandertreffen der Handelsrouten wahrscheinlich vorlagen, bevor der Meeresspiegel sank. Die Ergebnisse waren so ermutigend, dass Blindheim und

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