Mit Kurs auf Thule
Lage und geografischen Ausrichtung der Insel und konnte diese Lügengeschichten deshalb kaum hinterfragen. Vielmehr konzentrierte sich seine Untersuchung der Vorfälle darauf, ob diese Reisen nach Grönland unfreiwillig oder geplante Handelsunternehmen waren und in welchem Maß die königlichen Steuereinnehmer davon profitieren sollten. Vor allem die kostbare Ladung grönländischer Exportgüter, die Björn Einarsson 1389 nach Bergen brachte, führte zu einem Aufsehen erregenden Prozess, der auch zusätzliche Informationen zu den früheren Reisen ans Licht brachte, über die 1383 verhandelt worden war.
Dass Björn und seine Ehefrau Solveig zu den einflussreichsten Bürgern Islands zählten, war seinem Ankläger Hákon Jónsson zweifellos bekannt. Dennoch bestand dieser kämpferische Geldeintreiber in Diensten des Königs darauf, dass Björn und seine Männer in voller Absicht nach Grönland gesegelt waren, dort ohne königliche Erlaubnis Handel getrieben und illegal dem König vorbehaltene Waren erworben hatten. Der Adlige Erlend Philippuson, der die Besucher 1389 ebenso verteidigte wie die Isländer sechs Jahre zuvor, kannte Björn und seine Beziehungen in Norwegen wie in Island sicherlich ebenso gut. Er brachte das Gericht dazu, die Anklagen fallen zu lassen, und erklärte, er glaube Björn, dass er und seine Männer 1385 nach Grönland abgetrieben worden seien und nie vorgehabt hätten, das königliche Vorrecht zu verletzen. Zudem hätten sie jetzt den normalen Einfuhrzoll auf ihre Ladung bezahlt. Zwei frühere Besatzungsmitglieder der
Ólafssúdinn
sagten ebenfalls zu Björns Gunsten aus und erklärten dem Gericht 1389, dass, als sie selbst in Grönland gestrandet seien, die Grönländer sie gezwungen hätten, ihre norwegischen Waren gegen Nahrungsmittel und Unterkunft einzutauschen und grönländische Exportgüter zu kaufen. Lammfromm wiesen sie darauf hin, |144| dass sie dem königlichen Ombudsmann in Grönland in jeder Hinsicht gehorcht hätten. 26
Der Hinweis der Seeleute auf einen pflichtbewussten und angeblich in Grönland ansässigen königlichen Ombudsmann ist ein weiterer Grund, ihrem Bericht über ihren Aufenthalt in Grönland keinen Glauben zu schenken, denn als Ívar Bárdsson 1341 Bergen mit dem Ziel Grönland verließ, löste sich das System der Ombudsleute in Norwegen schon langsam auf, und es gibt keinen Beleg dafür, dass es in Grönland je Fuß gefasst hätte (Kapitel Sieben) oder in Anbetracht der Widerstände der Grönländer gegen die Unterwerfung unter die norwegische Krone auch nur hätte zum Einsatz kommen sollen. 27
Björns eigene Geschichte wäre vielleicht im Nachhinein weniger verdächtig gewesen, wenn er nicht die Gelegenheit gehabt hätte, mit Besatzungsmitgliedern der
Ólafssúdinn
und der
Thorlakssúdinn
zu sprechen, bevor er 1384 von Island aus nach Norwegen aufbrach, und wenn sein anschließender Grönland-Besuch nicht
vier
Schiffe voll mit norwegischen Waren und einen Aufenthalt von zwei ganzen Wintern in der Ostsiedlung eingeschlossen hätte (er kehrte 1387 zunächst nach Island zurück und fuhr dann zwei Jahre später nach Norwegen weiter). Noch weniger Hoffnung auf die Wahrheit bietet ein Werk, das als das
Reisubók Bjarnar Jorsalafara
bekannt ist. Es beinhaltet einen Bericht über Björns Aufenthalt in Grönland und soll angeblich von Björn selbst stammen, ist aber nur in einer völlig verworrenen Fassung aus dem 17. Jahrhundert erhalten. 28
Erlend Philippusons Lösung war unter den Umständen geradezu salomonisch zu nennen. Im mittelalterlichen Bergen köchelte das Thema der Steuerkontrolle immer gerade unter der Oberfläche jeder Auseinandersetzung der lokalen politischen Elite mit den institutionellen Mächten Kirche und Krone. Die einzelnen norwegischen Amtsträger waren meist eher daran interessiert, Geld einzutreiben, das sie selbst dann kontrollieren (und abschöpfen) konnten, als daran, die Vorrechte des Monarchen auf Biegen und Brechen durchzusetzen. Sie begrüßten deshalb zweifellos jede Gelegenheit, die regulären Abgaben zu kassieren und damit eine Situation zu vermeiden, in der Strafen oder konfiszierte Waren von anderen Beamten einbehalten wurden.
Björn und seine Gefährten zahlten natürlich gern die üblichen norwegischen Importzölle auf Güter aus Grönland und Island, wenn sie so einer schweren Strafe oder der Konfiszierung der Ladung entgehen konnten. Deshalb hatten sie allen Grund zur Zufriedenheit, als sie nach Island zurückkehrten. Die großen
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