Mit Kurs auf Thule
Aufgabe war, den Grönländern mit christlicher Seelsorge beizustehen. Er war als Geschäftsmann ausgeschickt worden, um Pfarrgrenzen zu ziehen und Zehntdistrikte festzulegen, die den Rückfluss von Gütern nach Bergen beschleunigen sollten. Das Pfarrsystem war damals gerade in Norwegen und Island eingeführt worden. In Island erwies sich die Einführung als mühseliges Unterfangen, weil das System der Tradition der Privatkirchen im Land zuwiderlief. Die Übertragung von Grundbesitz auf die Kirche blieb selbst nach dem Inkrafttreten neuer Gesetze im Jahr 1278, als die Zustimmung der Erben für ein Legat an die Kirche nicht mehr vonnöten war, oft nur nominell. Und weil die Bestimmungsgewalt über eine Kirche oft vererbt wurde, veränderte sich die Position des mächtigen Bauern mit Eigenkirche kaum. Weiterhin verwalteten Laien Kircheneigentum, und den einzigen Vorteil, den die Kirchenbauern schließlich irgendwann gegen Ende des Mittelalters verloren, war das Recht, den Priester auszuwählen. Die Macht der einzelnen Kirchenbauern in Island schrumpfte offenbar erst, als sich das Pfarrsystem im Laufe des 14. Jahrhunderts durchsetzte und die Menschen alle Gottesdienste von der Kirche abhalten lassen mussten, der sie den Zehnten schuldeten. 48
Als Ívar Bárdsson in Grönland anlandete, um die dortige Kirchenverwaltung zu modernisieren, konnte er wohl kaum erwarten, dass die nordischen Kirchenbauern bereitwillig ihre alten Privilegien aufgeben würden. Schließlich wusste er, wie schlecht das Pfarrsystem in Island trotz des ständigen Drucks aus Norwegen funktionierte. Ívars ursprünglicher Bericht über den Zustand von Grönlands Kirchen ist zwar verloren gegangen, doch die erhaltene Fassung gilt als ein guter Führer zu den Kirchen und Hofstätten der Ostsiedlung. Seine Aussagen zu Land und Zehnten, die zu verschiedenen Kirchen »gehörten«, sind deshalb wörtlich genommen worden, als bedeuteten sie, dass in der Mitte des 14. Jahrhundert etwa zwei Drittel des besten Weidelands in Grönland der Kirche direkt unterstellt waren.
Thomas McGovern vermutet angesichts der großen Menge Vieh und der saftigen Weiden, die angeblich zu den großen Höfen mit Kirchen gehörten, |123| dass die Menschen auf den Kleinbauernhöfen schließlich in schlechten Zeiten von der Kirche auf einen »Almosenstatus« hinabgedrückt worden seien. 49 Allerdings gibt es einen Unterschied zwischen Pfarreigrenzen, die gezogen werden, um den Zehnten einzuziehen, und dem tatsächlichen Landbesitz. Verschiedene Abschnitte in der »Beschreibung« betreffen Land, das zu einer bestimmten Kirche gehört
(hører till),
oder diese oder jene Kirche, die ein bestimmtes Gebiet besitzt
(eger
oder
æger)
. In diesem Fall beziehen sich die Ausdrücke »gehören zu« oder »besitzen« auf Land, das nicht einer bestimmten Kirche gehört, sondern den Gemeindemitgliedern einer bestimmten Pfarre – die Menschen einer Pfarre »gehören zu« der Kirche, die für ihr Seelenheil Sorge trägt.
Falls Ívar tatsächlich Land im Kirchenbesitz meinte, hätte es sicher schlecht für die Grönländer ausgesehen, aber damit das hätte geschehen können, hätten die Landbesitzer ihr Land in sauberen Parzellen rings um jede Kirche übereignen müssen, statt in dem althergebrachten Flickenteppich, der langsam aus der einen Mitgift hier, dem anderen Nachlass dort und einem Geschenk von wieder anderer Seite entstanden war. Die ordentlichen Grenzsteine, die Ívar wiederholt erwähnt, entsprechen vielmehr der frühen Landnahme und spiegeln die Tatsache wider, dass er nur sinnvolle Pfarrgrenzen beschrieb, nicht eine Gesellschaft unter dem Joch kirchlicher Herrschaft.
Ívar kehrte 1364 nach Bergen zurück, und schon im folgenden Jahr wurde Bruder Alf aus dem Kloster Munkeliv in Bergen als neuer Bischof von Gardar geweiht. Die Grönländer konnten ihren neuen Hirten schließlich im Jahr 1368 begrüßen. Alf übte sein Amt bis zu seinem Tod 1377 oder 1378 aus. Die Nachricht von seinem Ableben erreichte Norwegen erst, als das isländische Schiff
Ólafssúdinn
1383 direkt von Grönland nach Bergen segelte. 50 Die Verbindungen nach Norwegen waren also offenbar deutlich schlechter geworden, doch die Grönländer waren es gewohnt, viele Jahre auf ihre Bischöfe zu warten, und rechneten sicher nicht damit, dass es überhaupt keinen Bischof vor Ort mehr geben würde. Als sie diese Möglichkeit endlich in Betracht zogen, war die Westsiedlung schon aufgegeben, allerdings nicht so, wie Ívars
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