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Mit Kurs auf Thule

Mit Kurs auf Thule

Titel: Mit Kurs auf Thule Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten A. Seaver
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Neugier befriedigen, Ruhm erringen und Reichtümer gewinnen wollten – durch den Handel, bei dem an einem Ort, der »so weit von anderen Ländern entfernt liegt, dass selten Männer dorthin kommen«, ein guter Profit zu erwarten war. 1 Wenn man dieser Beschreibung glauben will, muss man die reichlich vorhandenen Hinweise auf riesige Ungeheuer, entsetzliche Eisbedingungen und andere Hindernisse für einen sicheren und gewinnträchtigen Handel in den Meeren rund um Grönland außer Acht lassen – Fantasien, die auch in anderen mittelalterlichen Texten häufig zu finden sind, um den äußersten Rand der Welt, wie die meisten Europäer sie kannten, in ehrfürchtigen Schrecken zu hüllen. Der
Königsspiegel
ist kein Handbuch dazu, wie Grönlandfahrer tatsächlich ihr Unternehmen angingen, und beschreibt auch das Wesen des nordischen Handels in Grönland nicht korrekt.
    Eirik der Rote wusste, dass seine Siedlung in Grönland eine Wirtschaftsstruktur brauchen würde, die nicht nur die eigenen Bedürfnisse befriedigte, sondern auch Waren für den Export produzierte. Nachdem er bei der Erkundung der inneren Nuuk-Fjordregionen die beste Hofstelle für sich und seine Familie in Besitz genommen hatte, drängte er auf den Bau der Westsiedlung, weil deren Lage hoch im Norden Vorteile bei Winterjagden bot, die auf Waren für den Außenhandel ausgerichtet waren. In jeder Hinsicht beruhte die Kultur der nordischen Grönländer auf den Ressourcen im Norden. Selbst die in Vínland entdeckten Trauben waren zweitrangig – eigentlich ging es darum, das Leben und den Handel mit erprobten Methoden aufrechtzuerhalten.
    |129| Mit den Ausfuhren wurden Getreide und Honig oder Fertigwaren aus Eisen und anderen Metallen bezahlt – Importe, die für das Überleben der Kolonie nicht unbedingt notwendig waren, aber als Luxusgüter den Reichtum zur Schau stellten und einen gehobenen Bedarf befriedigten. Prunkentfaltung war eine wichtige Komponente der mittelalterlichen nordischen Kultur, und es gibt keinen Grund, warum die Grönländer darüber anders gedacht haben sollten als ihre Verwandten in Island oder Norwegen. Eirik selbst war außerdem sicher bewusst, dass die Kontrolle über den Austausch von Prestigegütern, die man zur Bestechung, Belohnung oder andere Formen sozialer und politischer Manipulation nutzen konnte, wesentlich zur Wahrung seines eigenen gesellschaftlichen und politischen Status in der neuen Gemeinschaft beitrug. 2

Marktfähige Handelswaren
    Märkte für Produkte aus dem hohen Norden gab es in Europa schon seit Langem. Eirik, der einer alten Handelskultur entstammte, wusste, dass er und seine Siedlerkollegen auf auswärtige Käufer für überschüssige Waren zählen konnten. Im Angebot waren vor allem landwirtschaftliche Produkte wie Butter, Käse, Häute und selbst gesponnenes Wolltuch
(va ∂ mál)
. Tatsächlich wurde das grönländische Wolltuch seiner Qualität wegen hoch gelobt, und
va ∂ mál
spielte eine so zentrale Rolle in der mittelalterlichen skandinavischen Wirtschaft, dass nach dem Zusammenschluss mit Norwegen 1263 die Steuer der Isländer an den norwegischen König in selbst gesponnenem Tuch abgerechnet wurde. Auch viele aus der nordischen Wildnis gewonnene Produkte prägten die Wirtschaft der Grönländer. Getrocknete Walrosshautstriemen lieferten feste, widerstandsfähige Seile, die einen guten Preis brachten und auch für eigene Zwecke gebraucht wurden, während das Fleisch und der Tran von Walross und anderen Meeressäugern als Nahrung und Brennstoff zu Hause verwendet wurden. Zudem war der Tran ein unspektakulärer, aber verlässlicher Exportartikel, ähnlich wie das Wolltuch. Auf dem Luxussektor waren Stoßzähne von Walross und Narwal, Eisbärenfelle und andere Pelze, Eiderdaunen und Falken im Angebot.
    Weiße Gerfalken, die so genannten Grönlandfalken, die sonst selten vorkommen, waren auch in Grönland schwer zu fangen und ein kleines Vermögen wert, wenn sie die Überfahrt nach Europa überlebten. Unter den vielen Petitionen von König Magnus an Papst Clemens VI. im Jahr 1347 war auch die Bitte, dem Sultan und anderen Ländern Falken verkaufen zu dürfen, um damit die |130| Schulden des Königs zurückzahlen zu können, und 1396 soll der Herzog von Burgund seinen Sohn für zwölf Grönlandfalken von den Sarazenen freigekauft haben. 3 Diese und andere Beispiele eines Handels mit Luxusgütern lassen vermuten, dass hochrangige Adlige durch Steuer- oder Zehntzahlungen oder aber durch privaten Handel

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