Mit Kurs auf Thule
ihr Team ihre Suche auf die Umgebung ausdehnten, und siebzehn Jahre später konnte es kaum noch einen Zweifel geben, dass dieser Ort, den sie »Kaupang« tauften (vom altnordischen
kaupangr
– Stadt oder Marktplatz), ein Handelszentrum gewesen war und dass es sich sehr wahrscheinlich um Skiringssal ( »Glänzende Halle«) und damit um Ohtheres »Sciringesheal« handelte. 11
Nach weiteren Grabungen in den Jahren 2000 bis 2007 steht jetzt fest, dass sich hier tatsächlich eine frühe Marktstadt befand, die Handwerker und andere ganzjährige Bewohner anzog. Unter den Äckern fanden sich Hinweise auf Häuser, Gräber, Läden und Werkstätten sowie die Reste von Schiffsanlegestellen. Seit etwa 780 bis irgendwann im 10. Jahrhundert, als die wachsende Stadt Tønsberg im Nordosten Kaupangs wirtschaftliche Aktivität immer mehr schwächte, war »Sciringesheal« ein lebendiges Zentrum für norwegische Aus- und Einfuhren und eine wichtige Station der Handelswege der Wikingerzeit für Rohmaterialien wie für verarbeitete Produkte. In Kaupang fanden sich auch Reste von Walrosszähnen und Gegenstände aus Speckstein – Produkte aus dem Norden auf dem Weg zu reichen Käufern weiter im Süden.
In den letzten fünfundzwanzig Jahren haben archäologische Untersuchungen sehr viel weiter im Norden Norwegens offenbart, wie dieses Handelsnetz funktionierte, das den Austausch von Luxusgütern entlang der langen norwegischen Küste von sehr früher Zeit an ermöglichte. Es hat sich auch gezeigt, dass Ohthere nicht der einzige war, sondern nur einer von vielen wagemutigen Häuptlingen in Nordwestnorwegen, deren Sitze als Handelsknotenpunkte dienten und von denen mehr als ein Dutzend aus der Eisen- und Wikingerzeit heute bekannt sind. Nur in Borg auf den Lofoten sind die Überreste eines solchen Häuptlingssitzes bisher von Archäologen freigelegt worden. Sie fanden die Reste eines riesigen Langhauses, fast fünfundfünfzig Meter lang und acht |135| Meter breit, die auf das 5. oder 6. Jahrhundert zurückgehen. Ebenso bedeutsam sind die reichen Funde ähnlicher Luxusartikel, wie Blindheim und ihre Kollegen sie in Kaupang freilegten.
Die Familiengräber im Gebiet um Kaupang, die offenbar vor allem aus der Zeit zwischen der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts und etwa 940 stammen, waren reich mit Gütern im westlichen Stil ausgestattet, die aus vielen Teilen Europas ihren Weg nach Kaupang gefunden hatten. Es gab allerdings auch verschiedene Silbermünzen und Gegenstände aus dem Osten. Darüber hinaus kamen Stücke importierter, auf der Töpferscheibe gedrehter Tonwaren und Scherben von Glasgefäßen zum Vorschein, wie sie für diese Zeit sonst nur noch aus Borg bekannt sind. Im Wohnbezirk von Kaupang fanden die Archäologen große Mengen sehr feiner Keramik aus Dänemark und vom Kontinent, die in Norwegen ebenfalls nur noch in Borg belegt ist; solches Material fehlt sogar auf den Höfen, die ziemlich nahe am Zentrum von Kaupang lagen. Im Stadtgebiet fanden sich kufische, fränkische und angelsächsische Silbermünzen, während die sonstigen Artefakte im Allgemeinen in den Süden und Osten weisen. Trotz eines offenbar regen Warenaustauschs, trotz Kaupangs Bedeutung als Sammel- und Lagerplatz heimischer Erzeugnisse, die von weither dorthin gebracht wurden, hatte die Marktstadt keine Befestigungen. Ihre Bewohner verließen sich wahrscheinlich auf den Schutz durch die schwer zugängliche See. 12
Borg und Kaupang spielten eindeutig eine Rolle bei der Beförderung arktischer Waren in den Süden, wie Ohthere bezeugt, und beide Orte sind Belege für einen ganz allgemein regen norwegischen Handel mit Hilfe eines weitgespannten Netzwerkes, auf das offenbar auch Eirik der Rote bei seinen Plänen für den Austausch von Walrosselfenbein, glänzenden Pelzen und anderen arktischen Gütern gegen ausländische Luxusartikel baute. Zwar hat man an keiner nordischen Stätte in Grönland so elegante Dinge gefunden wie die Keramik und die Glaswaren in Kaupang und Borg, doch wissen wir, dass weniger kostbare, nicht lebensnotwendige Güter nach Grönland gelangten. Den Umfang und die Art dieser Importe zu definieren, bleibt zukünftigen Grabungen und dem wissenschaftlichen Fortschritt überlassen, mit dem man irgendwann sicher auch kleinste Proben aufspüren kann. Für immer verloren sind allerdings Einfuhren wie Honig und Malz, die man bei Tisch mit Genuss verspeiste.
Die Kunst der »Abdrift«
Die politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen im Norwegen des
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