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Mit offenen Karten

Mit offenen Karten

Titel: Mit offenen Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Verbeugung.
    «Madame, ich gratuliere Ihnen. Ihr Kartengedächtnis ist großartig – wirklich großartig! Sie erinnern sich sozusagen an jede Karte, die ausgespielt wurde!»
    «Ich glaube.»
    «Ein gutes Gedächtnis ist eine wunderbare Gabe. Mit ihm ist die Vergangenheit nie vergangen, und ich stelle mir vor, Madame, dass sie sich vor Ihrem geistigen Auge so entrollt, dass jedes Ereignis klar hervortritt, als wäre es gestern geschehen. Stimmt das?»
    Sie warf ihm einen schnellen Blick zu. Ihre Augen waren dunkel und weit geöffnet.
    Es währte nur einen Augenblick, dann hatte sie sich gefasst und war wieder ganz Dame von Welt. Aber Hercule Poirot zweifelte nicht. Der Schuss hatte ins Schwarze getroffen.
    Mrs Lorrimer erhob sich.
    «Ich fürchte, dass ich Sie jetzt verlassen muss. Es tut mir leid – aber ich darf mich wirklich nicht verspäten.»
    «Gewiss, gewiss, verzeihen Sie, dass ich Ihre Zeit in Anspruch genommen habe.»
    «Ich bedaure, dass ich Ihnen nicht behilflich sein konnte.»
    «Aber Sie haben mir geholfen», widersprach Hercule Poirot.
    «Ich glaube kaum.»
    Sie sagte das sehr entschieden.
    «Oh, doch. Sie haben mir etwas mitgeteilt, das ich wissen wollte.»
    Sie fragte nicht, was dieses Etwas war.
    Er streckte seine Hand aus.
    «Madame, ich danke Ihnen für Ihre Langmut.»
    Als sie ihm die Hand schüttelte, bemerkte sie: «Sie sind ein ungewöhnlicher Mensch, Monsieur Poirot.»
    «Ich bin, wie unser Herrgott mich geschaffen hat, Madame.»
    «Das sind wir alle, glaube ich.»
    «Nicht alle, Madame, manche wollen Sein Werk verbessern. Mr Shaitana zum Beispiel.»
    «Wie meinen Sie das?»
    «Er hatte einen recht guten Geschmack in objets de vertu und bric-à-brac, er hätte es dabei bewenden lassen sollen. Statt dessen sammelte er andere Dinge.»
    «Was für Dinge?»
    «Nun – sagen wir – Sensationen.»
    «Und glauben Sie nicht, dass das dans son caractère war?»
    Poirot schüttelte ernst den Kopf.
    «Er spielte die Rolle des Teufels sehr gut. Aber er war nicht der Teufel. Au fond war er ein dummer Kerl. Und so musste er sterben.»
    «Weil er dumm war?»
    «Es ist die unverzeihlichste aller Sünden und wird immer bestraft.»
    Es entstand eine Pause. Dann sagte Poirot:
    «Ich empfehle mich, Madame. Und tausend Dank für Ihre Liebenswürdigkeit. Ich komme nicht wieder, es sei denn, Sie ließen mich holen.»
    Ihre Augenbrauen hoben sich.
    «Aber mein lieber Monsieur Poirot, warum sollte ich Sie holen lassen?»
    «Wer weiß? Es ist nur eine Idee. Wenn, so komme ich. Denken Sie daran!»
    Er verbeugte sich nochmals und verließ das Zimmer.
    Auf der Straße sagte er zu sich selbst:
    «Ich habe recht… ich habe bestimmt recht… es muss das sein!»

12
     
    M rs Oliver wand sich unter gewissen Schwierigkeiten aus dem Fahrersitz ihres kleinen Wagens. Erstens machen die Konstrukteure moderner Automobile ihre Berechnungen nur für sylphidenhafte Knie, und zweitens ist es modern, tief zu sitzen. Da dem so ist, erfordert es für eine etwas beleibte Frau in mittleren Jahren ein schier übermenschliches Maß an Drängen und Zwängen, um unter dem Volant herauszukriechen. Außerdem war der Platz neben dem Fahrersitz mit etlichen Mappen, drei Romanen und einer großen Tüte voller Äpfel belegt. Mrs Oliver hatte eine wahre Passion für Äpfel, und es war bekannt, dass sie einmal ganze fünf Pfund in einem Zug aufgegessen hatte, während sie dabei war, die komplizierte Handlung von «Tod im Kanalrohr» zu verfassen, und eine Stunde später, nachdem sie bei einem ihr zu Ehren veranstalteten Lunch hätte erscheinen sollen, sich plötzlich mit beginnenden Magenkrämpfen zurückziehen musste.
    Mit einem letzten entschlossenen Ruck und einem energischen Stoß mit dem Knie gegen die widerspenstige Tür landete Mrs Oliver etwas zu plötzlich auf dem Trottoir vor Wendon Cottage, zwanglos Apfelschalen umherstreuend.
    Sie seufzte tief auf, schob ihren Sporthut aus der Stirn, sodass er ganz unmodern saß, blickte wohlgefällig auf ihr Tweedkostüm, das sie für den Anlass angezogen hatte, runzelte leicht die Stirn, als sie bemerkte, dass sie gedankenlos ihre städtischen Lackschuhe mit den hohen Absätzen anbehalten hatte, stieß die Gartentür von Wendon Cottage auf und ging den gepflasterten Weg zur Eingangstür hinauf. Sie zog an der Glocke und vollführte ein munteres kleines Tap-tap-tap mit dem Türklopfer, der die Form eines Krötenkopfes hatte.
    Als nichts geschah, wiederholte sie das Ganze.
    Nach einer weiteren Pause von

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