Mit offenen Karten
anderthalb Minuten begab sich Mrs Oliver kühn auf eine Forschungsreise um die eine Seite des Hauses.
Hinter dem Haus war ein kleiner, altmodischer Garten mit Strandastern und vereinzelten Chrysanthemen und dahinter ein Feld. Hinter dem Feld lag der Fluss. Für einen Oktobertag war es ausgesprochen warm.
Zwei junge Mädchen überquerten gerade das Feld in Richtung Haus. Als sie in den Garten kamen, blieb die vordere mit einem Ruck stehen.
«Guten Tag, Miss Meredith. Sie erinnern sich doch an mich, nicht wahr?»
«Oh – oh, gewiss.» Anne Meredith streckte eilig ihre Hand aus. Ihre Augen blickten groß und erschreckt. Dann nahm sie sich zusammen.
«Das ist meine Freundin, Miss Dawes, die mit mir zusammen hier wohnt. Rhoda, das ist Mrs Oliver.»
«Oh, sind Sie die Mrs Oliver? Ariadne Oliver?»
«Keine Geringere», bestätigte Mrs Oliver lachend und fügte zu Anne gewandt hinzu: «Setzen wir uns irgendwo hin, denn ich habe Ihnen eine Menge zu sagen.»
«Gewiss, und wir werden Tee…»
«Der Tee hat Zeit», unterbrach sie Mrs Oliver.
Anne führte sie zu einer kleinen Gruppe ziemlich wackeliger Liegestühle und Korbsessel. Mrs Oliver wählte sorgsam den am solidesten aussehenden, denn sie hatte mit gebrechlichen Gartenmöbeln schon böse Erfahrungen gemacht.
«Nun, meine Liebe», begann sie, «machen wir keine Umschweife. Es handelt sich um den Mord von jenem Abend. Wir müssen etwas unternehmen.»
«Etwas unternehmen?», staunte Anne.
«Natürlich», sagte Mrs Oliver, «ich weiß nicht, wie Sie darüber denken, aber mir scheint völlig klar zu sein, wer es getan hat. Dieser Doktor! Wie hieß er doch gleich noch, Roberts. Genau! Roberts. Ein Waliser Name! Ich traue den Walisern nicht! Ich hatte einmal ein Kindermädchen aus Wales. Sie führte mich eines Tages nach Harrogate und ging heim und hatte mich völlig vergessen. Sehr unzuverlässige Leute. Aber lassen wir das. Roberts hat es getan – das ist der springende Punkt, und wir müssen die Köpfe zusammenstecken und beweisen, dass er es war.»
Rhoda Dawes lachte plötzlich – dann errötete sie.
«Verzeihen Sie, aber Sie sind – Sie sind so anders, als ich Sie mir vorgestellt habe.»
«Also eine Enttäuschung», meinte Mrs Oliver heiter. «Macht nichts – das bin ich gewohnt. Was wir tun müssen, ist, zu beweisen, dass Roberts es getan hat.»
«Wie sollen wir das anstellen?», fragte Anne.
«Oh, sei doch nicht so defaitistisch, Anne», rief Rhoda Dawes. «Ich finde, Mrs Oliver ist prachtvoll. Natürlich kennt sie sich in diesen Dingen aus. Sie wird es genauso machen wie Sven Hjerson.»
Beim Namen ihres berühmten finnischen Detektivs leicht errötend, erklärte Mrs Oliver:
«Es muss sein, und ich werde Ihnen sagen, warum, mein Kind. Sie wollen doch nicht, dass die Leute glauben, Sie hätten es getan?»
«Warum sollten sie das?», rief Anne und wurde blutrot.
«Sie wissen doch, wie die Leute sind», sagte Mrs Oliver. «Die drei Unschuldigen werden genauso verdächtigt werden wie der eine Schuldige.»
Anne Meredith meinte zögernd:
«Ich verstehe noch immer nicht ganz, warum Sie gerade zu mir gekommen sind, Mrs Oliver?»
«Weil meiner Meinung nach die anderen beiden nicht zählen! Mrs Lorrimer gehört zu den Frauen, die den ganzen Tag Bridge spielen. Solche Frauen müssen hart sein – sie können sich sehr gut selbst helfen. Und jedenfalls ist sie alt. Es wäre kein Unglück, sollte irgendjemand glauben, dass sie es getan hat. Bei einem jungen Mädchen ist das etwas anderes. Es hat das Leben noch vor sich.»
«Und Major Despard?», fragte Anne.
«Pah», erwiderte Mrs Oliver, «er ist ein Mann. Um Männer mache ich mir nie Sorgen. Männer können sich selbst verteidigen, und wenn Sie mich fragen, so tun sie das ausgezeichnet. Außerdem schwärmt Major Despard für ein gefährliches Leben. Jetzt hat er seine Sensation hier anstatt am Irawadi – oder meine ich den Limpopo –, Sie wissen schon, was ich meine – diesen gelben afrikanischen Fluss, für den die Männer so schwärmen. Nein, ich zerbreche mir über keinen von beiden den Kopf.»
«Es ist sehr gütig von Ihnen», sagte Anne langsam.
«Es ist abscheulich, dass so etwas geschehen musste», warf Rhoda ein. «Es hat Anne völlig erledigt. Sie ist schrecklich sensibel. Und ich glaube, Sie haben ganz Recht. Es wäre tausendmal besser, etwas zu tun, als nur dazusitzen und zu grübeln.»
«Natürlich», bestätigte Mrs Oliver. «Ich will Ihnen gestehen, dass ich noch nie mit einem
Weitere Kostenlose Bücher