Mit offenen Karten
wirklichen Mord zu tun hatte, und auch, dass mir wirklicher Mord nicht liegt. Ich bin zu sehr gewohnt, selbst Regie zu führen – wenn Sie begreifen. Aber ich wollte mit dabei sein und nicht den ganzen Spaß den drei Männern allein überlassen. Ich habe immer gesagt, dass, wenn eine Frau an der Spitze von Scotland Yard wäre…»
«Ja», sagte Rhoda und lehnte sich mit halb geöffneten Lippen vor. «Was würden Sie tun, wenn Sie an der Spitze von Scotland Yard wären?»
«Ich würde Dr. Roberts vom Fleck weg verhaften lassen…»
«Ja?»
«Aber ich bin nicht an der Spitze von Scotland Yard», erinnerte Mrs Oliver, der der Boden zu heiß wurde. «Ich bin eine Privatperson…»
«Oh, das sind Sie nicht», widersprach Rhoda und wollte ihr damit ein Kompliment machen.
«Da wären wir also», fuhr Mrs Oliver fort, «drei Privatpersonen – lauter Frauen. Stecken wir die Köpfe zusammen und schauen wir, was sich machen lässt!»
Anne Meredith nickte nachdenklich. Dann fragte sie:
«Warum glauben Sie, dass es Dr. Roberts war?»
«Er ist diese Art Mann», erwiderte Mrs Oliver prompt.
«Aber glauben Sie nicht – », Anne zögerte –, «würde ein Arzt nicht –? Ich meine, etwas wie Gift wäre doch um so viel leichter für ihn.»
«Ganz und gar nicht. Gifte und Medikamente jeder Art würden den Verdacht sofort auf einen Arzt lenken. Nein, gerade weil er ein Arzt ist, würde er besonders darauf achten, nichts Medizinisches zu verwenden.»
«Ich verstehe», meinte Anne, aber es klang keineswegs überzeugt.
«Aber warum, glauben Sie, wollte er Mr Shaitana umbringen? Haben Sie irgendeine Idee?»
«Eine Idee? Ich habe eine Unmenge Ideen. Das ist ja gerade die Schwierigkeit. Das ist immer mein Dilemma. Ich kann auch nie an eine einzige Handlung allein denken. Ich denke immer an mindestens fünf zu gleicher Zeit, und dann habe ich die Qual der Wahl. Mir fallen sechs triftige Gründe für den Mord ein. Das Dumme ist, ich sehe keinerlei Möglichkeit, den richtigen zu erraten. Erstens war Shaitana vielleicht ein Wucherer. Er hatte einen sehr hinterhältigen Blick. Roberts war in seinen Klauen und hat ihn umgebracht, weil er das Darlehen nicht zurückzahlen konnte. Oder vielleicht ist Roberts ein Bigamist, und Shaitana wusste es. Oder möglicherweise hat Roberts Shaitanas einzige Verwandte geheiratet und wollte dadurch Shaitanas Universalerbe werden. Oder – bei der wievielten bin ich jetzt angelangt?»
«Vier», sagte Rhoda.
«Oder – und das ist ein wirklich guter Grund – angenommen, Shaitana wusste irgendein Geheimnis aus Roberts’ Vergangenheit. Vielleicht ist es Ihnen nicht aufgefallen, meine Liebe, aber Shaitana hat während des Diners etwas sehr Sonderbares gesagt – gerade vor einer etwas unheimlichen Pause.»
Anne bückte sich, um eine Raupe zu entfernen. «Ich kann mich nicht recht erinnern.»
«Was sagte er?», fragte Rhoda.
«Etwas – was war es nur? – über einen Unglücksfall und Gift. Erinnern Sie sich nicht?»
Annes linke Hand umklammerte das Korbgeflecht ihres Stuhles fester.
«Ich erinnere mich jetzt an etwas Derartiges», sagte sie ruhig. Rhoda sagte plötzlich: «Meine Liebe, du solltest deinen Mantel anziehen. Wir haben schließlich nicht mehr Sommer. Geh und hol ihn!» Anne schüttelte den Kopf.
«Mir ist ganz warm.»
Aber während sie sprach, fröstelte sie.
«Meine Theorie ist Ihnen doch klar», fuhr Mrs Oliver fort. «Ich vermute, ein Patient des Doktors hat sich scheinbar zufällig vergiftet, aber natürlich war es in Wirklichkeit kein Zufall, sondern das Werk des Doktors. Ich vermute, er hat eine ganze Menge Leute auf diese Weise ermordet.»
Annes Wangen überzogen sich mit einem plötzlichen Rot. «Ist es bei den Ärzten Sitte, ihre Patienten en gros zu ermorden? Würde sich das nicht ungünstig auf ihre Praxis auswirken?»
«Es müsste natürlich einen Grund haben», überlegte Mrs Oliver.
«Ich finde die Idee unsinnig», sagte Anne energisch. «Einfach melodramatisch.»
«Oh, Anne!», rief Rhoda und sah Mrs Oliver mit um Entschuldigung bittendem Blick an. Ihre Augen, wie die eines klugen Spaniels, schienen zu sagen. «Versuch zu verstehen. Versuch zu verstehen.»
«Ich finde es eine glänzende Idee, Mrs Oliver», sagte Rhoda ernst. «Und ein Arzt könnte sich etwas ganz Unaufspürbares beschaffen, nicht wahr?»
«Oh!», rief Anne.
Die anderen beiden wandten sich ihr zu.
«Ich erinnere mich an etwas anderes. Mr Shaitana sagte etwas über die günstigen
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