Mit reinem Gewissen
nationalsozialistischen Unrechtsstaat und dem demokratischen Rechtsstaat tendenziell einzuebnen und wird dabei von vielen unterstützt, die sehr ähnlich denken.
Fast zeitgleich zum Todesurteil und zur Hinrichtung von Walter Gröger muss Walters Mutter mit den vier Schwestern im Februar 1945 aus Mohrau ins Sudetengebirge fliehen. Sie verladen ihr Hab und Gut auf einen Holzkarren und ziehen von dannen. Bei allem Unglück hält sich bei ihnen die irrtümliche Freude darüber, dass Walter noch lebt. Die Mutter hofft, bald den Sohn und den Vater und Ehemann zu Hause zu haben. Nach Wochen kommen sie ins geplünderte Dorf zurück, hoffen immer wieder auf eine Nachricht von Walter.
1946 kehrt der Vater zurück, er ist schwer an Tuberkulose erkrankt. 1947 muss die gesamte Familie nach Hoyerswerda ins Lager Elsterhorst umsiedeln. 1948 erreicht sie die Nachricht, dass ihr Sohn Walter in Norwegen gestorben sei, die Todesursache sei jedoch unbekannt.
Mit der Enthüllung der Vergangenheit Hans Filbingers gerät 1978 das Schicksal Walter Grögers und seiner Familie an die Öffentlichkeit, die Familie ist unmittelbar vom Politskandal betroffen. Makaber daran ist, dass zwar die Journalisten reibungslos vom Westen in den Osten kommen, dass es aber Walter Grögers Schwester nicht rechtzeitig gelingt, mit ihrer alten Mutter Anna zu telefonieren, die inzwischen im Westen lebt.
So erfährt Anna Gröger die ganze Geschichte, als sie um 20.00 Uhr den Fernseher anschaltet und in der Tagesschau das Foto ihres hingerichteten Sohnes erblickt. Genugtuung und |112| Verzweiflung wechseln sich bei den Hinterbliebenen Walter Grögers ab. Ein ungeahnter Medienrummel bricht über die Familie Gröger herein. Einige wollen nicht an die Öffentlichkeit, scheuen die Journalisten und die Befragungen. Natürlich geht es der interessierten Öffentlichkeit nie wirklich um die Familie Gröger und ihren Schmerz, sondern nur um den Täter, den Politiker, und seine in Gefahr geratene Macht.
Die Familie muss auch lernen, mit der Diffamierung umzugehen, da die Unterstützer Filbingers behaupten, dass Walter Gröger ein Krimineller gewesen sei und die Todesstrafe verdient habe. Diese Aussage trifft Tausende von Familien in Deutschland, die alle noch einmal spüren müssen, wie ihre hingerichteten Söhne, Brüder und Väter als Deserteure und Verräter abgestempelt werden, obwohl sie sich nur gegen den damaligen Terrorstaat aufgelehnt haben. Und wir sprechen vom Jahr 1977, also über dreißig Jahre nach Kriegsende.
Der Eklat um den ehemaligen Nazijuristen und den Matrosen erreicht die Vereinigten Staaten von Amerika. Ein Rechtsanwalt aus den USA will der Mutter Anna Gröger helfen, auf rechtlichem Wege eine Wiedergutmachung zu erwirken. Doch die alte Frau lehnt ab, sie will mit dem Tod ihres Sohnes kein Geld erstreiten. Statt früher 230 DDR-Mark bekomme sie in Westdeutschland nun 700 Mark. Bisher konnte sie von dieser bescheidenen Summe leben, und niemand hat sich zuvor um ihre Vergangenheit als Vertriebene gekümmert. Die Mutter erleidet im Zuge des Medienrummels einen Herzinfarkt, an dessen Folgen sie 1981 stirbt.
Unbußfertigkeit bis zum Tod
Während des Gerichtsverfahrens gegen »Die Zeit« und den Dramatiker Rolf Hochhuth im Jahr 1978 werden Fälle bekannt, bei denen Filbinger nachweislich an vier Todesurteilen mitgewirkt hat, von denen er zwei selbst fällte. Er selbst bezeichnet diese allerdings als »Phantomurteile«: Die Soldaten hätten sich schon erfolgreich in andere Länder abgesetzt gehabt und hätten |113| somit gar nicht zur Verantwortung gezogen werden können. Filbinger hat noch drei Wochen vor der Kapitulation nach Nazirecht gehandelt. Er will sein Unrecht nicht einsehen. Wie andere Wehrmachtjuristen verteidigt er sich immer wieder mit der Behauptung, sie hätten das damalige Recht weisungsfrei und korrekt angewendet. Er betont immer wieder:
Ich habe kein einziges Todesurteil selbst gefällt.
Jahrelang kämpft er für seine politische Rehabilitierung:
Ich habe kein schlechtes Gewissen. Im Gegenteil. Ich habe ein gutes Gewissen.
Nach Meinung vieler, die ihr Recht mit Füßen getreten sehen, ist die Anfang der 50er-Jahre oft zitierte These der Kollektivschuld des gesamten deutschen Volkes eigentlich nur eine perfekte Vertuschungschance für die wahrhaft Schuldigen. Es ist in der Auseinandersetzung um Filbinger nie primär um seine Vergangenheit, sondern um sein Verhältnis zu seiner Vergangenheit in der Gegenwart gegangen. Am 7. August
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