Mit reinem Gewissen
wurde er in den Schulen von den ehemaligen Nazilehrern weitgehend gemieden. Später fehlte ihm der Anschluss an die Forcierungen der Moderne und an die Postmoderne. Er ist 92 Jahre alt geworden und am 23. Februar 2000 gestorben, also vor zehn Jahren. Es ist heute, wo sich weltweite deutsche Militäreinsätze einbürgern, der richtige Zeitpunkt, seiner sich historisch verantwortlich fühlenden Erzählkunst zu gedenken und die Stille zu durchbrechen, die sich um ihn gelegt hat.
In der Erzählung »Unruhige Nacht« erfährt man erst nach und nach etwas über den zum Tode verurteilten Fahnenflüchtigen |116| Fedor Baranowski. Der Kriegspfarrer ist es, dem wir an einem Oktobertag des Jahres 1942 auf einer kleinen Wanderung am Ufer des Bug in der besetzten Ukraine folgen, dem Ich-Erzähler. Er hat sonst die Kranken und die Sterbenden zu betreuen und muss sich in der Landschaft vor Partisanen in Acht nehmen. »Es ist Krieg, man darf nicht leben, wie man will. Aber sterben, wie man will, das darf man erst recht nicht«, heißt es, als ein Soldat nach einem Selbstmordversuch ins Lazarett eingeliefert wird. Nach der Rückkehr von der Wanderung erfährt der Kriegspfarrer, dass er für Abteilung III eingeteilt ist, fürs Kriegsgericht in Proskurow, ein paar Stunden entfernt. Auf der Fahrt dorthin reflektiert er über den Krieg. Bei einer Versetzung in eine andere Himmelsrichtung darf man nicht aussteigen, nicht einmal in der Heimatstadt, kann man höchstens aus dem Waggonfenster sehen, eventuell die eigene Terrasse. »Vielleicht hat man Glück und die Frau hängt Wäsche auf, dann sieht man ihr rotes Kleid und ihr schwarzes Haar.«
In Proskurow erfährt der Kriegspfarrer, dass das Kriegsgerichtsurteil am nächsten Morgen vollstreckt werden soll. Der Verurteilte hat das Recht auf geistlichen Beistand. Der Kriegsgerichtsrat, in Reitstiefeln, überlässt dem Pfarrer immerhin die Akte zum Kennenlernen des Verurteilten. Das Grauen, das den Pfarrer vor den Nazis der Heeresbürokratie ergreift, mündet in den Satz für einen ihrer Protagonisten: »Es gibt Menschen, die es nicht geben darf.« Vom hinzukommenden General mit dem Trinkergesicht erfährt er, dass der eigentliche Kriegspfarrer wegen defätistischer Äußerungen bei einer Beerdigung abgelöst ist. Der Ersatzmann soll jetzt dafür sorgen, dass alles gutgeht.
Ihm wird ein Zimmer im Wehrmachtheim zugeteilt. Er versucht den schwäbischen Dialekt des ihn einweisenden Soldaten tröstlich zu finden. Der Krieg ist nicht mehr zu gewinnen, die Quälereien des Soldatenalltags, die schlimmen Botschaften von daheim, der Mord an den Geisteskranken und die Judenpogrome sind das schreckliche Umfeld. Der Pfarrer möchte den Todeskandidaten noch am Abend kennenlernen, ohne dass dieser den wahren Grund erfährt. Er will ihm eine ruhige letzte Erdennacht lassen. Eine Kasernenstunde wird deswegen im |117| Gefängnis angesetzt. Der Pfarrer findet dabei unter den anderen Häftlingen den beiläufigen Ton im Gespräch mit Baranowski, Fedor, mit dem Vornamen Dostojewskis also, auf den das Peloton bei der vorgetäuschten zaristischen Exekution dann doch nicht schoss.
Der Chef des Baubataillons, ein gebeugter Weltkriegsveteran, auch ein Pfarrer, ist von dem Naziprotagonisten als Führer des Erschießungskommandos eingeteilt. Er spricht mit dem Kriegspfarrer über das bessere Deutschland, Beethovens Musik, Fidelio. Wodurch unterscheiden sich die beiden von den Nazis, wo doch der eine trostreiche Worte als Plätzchen geben soll und der andere, nicht ganz so zuckerig, die Kugeln? Der Kriegspfarrer sagt dazu, eines Tages werde es mit dem Krieg und Hitler vorbei sein und dann werde man zur Stelle sein müssen, um ein inneres Bild von dieser Zeit zu geben. »Unsere Schuld aber ist, dass wir leben.« Der Mann vom Baubataillon wird am Morgen dann doch den Erschießungsbefehl geben.
Zur Nachtzeit setzt sich der Kriegspfarrer an die Akte. Aber in seinem Zimmer muss noch zu guter Letzt ein anderer Schlafgast untergebracht werden, ein Hauptmann, für Stalingrad bestimmt, also zum Nimmerwiedersehen abgeordnet. Der bittet darum, auch seine Verlobte hereinschmuggeln zu dürfen, die in der Nähe als Krankenschwester Dienst tut. Während der Kriegspfarrer die Akte liest, liegt das Paar zusammen, vielleicht zum letzten Mal.
Dann endlich wird der Todeskandidat Baranowski vorgestellt, das uneheliche Kind einer Kontoristin. Die Mutter heiratet später einen Textilhändler, heißt dann Frau Hoffmann und hat nur noch
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