Mit reinem Gewissen
Unrecht gesetzt werden würden. Und – ganz offiziell – wir können nicht rehabilitiert werden, weil damit der Auftrag und die Moral der Bundeswehr untergraben werde. Nun möchte ich Desertion gar nicht glorifizieren. Aber wir Deserteure der Wehrmacht sollten ja eigentlich Vorbilder für die Bundeswehr sein. Denn wollte sie einen Krieg führen wie die Wehrmacht, so wären alle Soldaten der Bundeswehr nach der Verfassung in der Pflicht zu desertieren; verbrecherische Kriege und Befehle sowie ihre Befolgung stehen heute unter Strafe. Und wir könnten ja auch in der Geschichte sehen und, wenn wir wollten, aus ihr lernen, dass die Soldaten bei uns immer – nicht nur im Zweiten Weltkrieg – missbraucht wurden und sich haben missbrauchen lassen, alles zu zerstören: fremde Länder, das eigene Land, auch sich selbst. Und sie haben ja hinterher nie sagen können, was der, den sie töteten, ihnen getan hat.
Vor dem Krieg der NATO gegen Jugoslawien 1999 waren die allermeisten aus der SPD auf unserer Seite, die Grünen auch. Bei den anderen Fraktionen war Norbert Blüm sehr auf unserer Seite. Blüm wollte das Grundsatzurteil des Bundessozialgerichts vom 11. September 1991, in dem die Wehrmachtjustiz als eine Terrorjustiz und die Richter als Blutrichter bezeichnet werden, in seinem Ressort umsetzen. Im Gegensatz dazu wollte Klaus Kinkel, der damalige Justizminister, es nicht umsetzen und der damalige Finanzminister Theo Waigel hat jede Entschädigung abgelehnt. Aber Blüm hat gesagt, er setzt das Urteil um. Dieses Urteil war ein Grundsatzurteil für die Aufhebung – nein, nicht für Aufhebung: für die Unrechtserklärung aller Urteile gegen uns. Vom Bundestag wurde das nicht übernommen. |333| Trotzdem hat uns dieses Urteil sehr geholfen. Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 16. November 1995 hat uns auch sehr geholfen. Aber das hat die Bundesregierung nicht von ihrer Meinung abgebracht. Die wollte Wehrmachtdeserteure nicht rehabilitieren.
Erst aufgrund einer Entschließung der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland wurde 1996 ein neuer Antrag für unsere Rehabilitierung in den Bundestag eingebracht. Der erste Punkt lautete: Der Zweite Weltkrieg war ein Angriffs- und Vernichtungskrieg, ein vom nationalsozialistischen Deutschland verschuldetes Verbrechen. Diese Formulierung hat der Bundestag auf Anregung von Herta Däubler-Gmelin, damals in der Opposition, übernommen. Allerdings wurde der Antrag so verwässert, dass zumindest die Deserteure sich damit nicht rehabilitiert fühlen konnten, auch nicht symbolisch. Der damalige Justizminister Edzard Schmidt-Jortzig (FDP) hat später einen Antrag zur Aufhebung aller NS-Unrechtsurteile eingebracht. Gemeint waren die Urteile des Volksgerichtshofs der Sondergerichte und die Urteile gegen uns – zwei Drittel aller Todesurteile waren ja gegen uns Deserteure gefällt worden. Die SPD und die Grünen haben den Antrag noch verbessert. Das ging aber nicht mit der CDU/CSU, die auf ihrem Standpunkt beharrte: »Deserteure, das geht auf keinen Fall!« Am 27. Mai 1998 wurden wir aus dem Gesetzentwurf rausgeschmissen, bevor das Gesetz am 28. Mai 1998 verabschiedet wurde. Als die SPD und die Grünen im September 1998 die Wahlen gewannen, hat es Frau Däubler-Gmelin als Bundesjustizministerin mir schriftlich gegeben, dass unsere Urteile pauschal aufgehoben werden sollen.
Dann allerdings hat die NATO Krieg geführt gegen Jugoslawien, gegen das Völkerrecht und ohne UNO-Mandat. Deutschland war dabei, obwohl die Wehrmacht schwerste Kriegsverbrechen an den Serben begangen hatte. Scharping und Fischer wollten »ein zweites Auschwitz« verhindern – welch eine schamlose Verhöhnung der Auschwitz-Opfer! – und damit hatten wir auch unter Rot-Grün verloren. Frau Däubler-Gmelin hat mit uns weiter versucht, die Urteile aufzuheben; es ist ihr |334| nicht gelungen. Nach zwei Jahren haben wir uns an die PDS gewandt, die auf unseren Wunsch hin den früheren SPD-Gesetz entwurf wörtlich in den Bundestag eingebracht hat. Dabei ist der SPD zu unserem Glück eine Panne passiert. Sie hat zu ihrem eigenen früheren Gesetzentwurf zu Protokoll gegeben, dass dieser Gesetzentwurf »nicht das Papier wert sei, auf dem er steht, dass er nicht die Zeit wert sei, die man brauche, um ihn abzulehnen«. Das kam natürlich in die Presse und war sehr peinlich. Die SPD hat sich später im Plenum bei uns entschuldigt. Erst dann ist es positiv gelaufen. Allerdings wurden 2002 die Urteile wegen Kriegsverrat nicht mit
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