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Mit reinem Gewissen

Mit reinem Gewissen

Titel: Mit reinem Gewissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Joachim und Wette Perels
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aufgehoben. »Kriegsverrat« war Landesverrat im Krieg. Die Fälle, die inzwischen bekannt sind – es sind nicht viele –, sind alle moralisch, ethisch, politisch motiviert. Die Verfolgten haben Juden versteckt, sie haben Kriegsgefangenen geholfen, sie sind zu den Partisanen gegangen. Gegen sie gab es nur die Todesstrafe und keine Begnadigung. Die Begründung, warum diese Urteile im Jahr 2002 nicht mit aufgehoben wurden, war und ist wirklich ein Skandal vor der Geschichte! Es hieß damals: Trotz der vielen tausend Todesurteile der NS-Militärjustiz können nicht alle aufgehoben werden, und es werden vier »Straftatbestände« als Ausnahme exemplarisch genannt: Misshandlung von Untergebenen, Kriegsverrat, Plünderung und Leichenfledderei. Kriegsverrat in diesem Kontext! Und die zweite Begründung ist vor der Geschichte noch skandalöser: Es hätte eine nicht auszuschließende Lebensgefährdung der deutschen Soldaten durch Kriegsverrat gegeben. Nun war ja nicht jeder Soldat ein Täter, aber alle dienten in den Armeen der Wehrmacht, die den Vernichtungskrieg führte. Ich habe damals im Bundestag gesagt, es hätten ja Millionen von KZ-Insassen und Zivilisten und auch Soldaten nicht mehr zu sterben brauchen, wenn mehr Kriegsverrat begangen worden wäre! Und wenn man die nicht auszuschließende Lebensgefährdung für deutsche Soldaten höher stellt als die mögliche Rettung von Zivilisten und KZ-Insassen, die millionenfach nicht mehr hätten zu sterben brauchen, dann hat Deutschland mit seiner Nazivergangenheit nicht eindeutig gebrochen. Bundesjustizministerin Zypries hat die Argumente, |335| also u. a. die durch Kriegsverrat nicht auszuschließende Lebensgefährdung für deutsche Soldaten, noch im Jahr 2006 wiederholt. Erst als 2007 die Ausstellung »Was damals Recht war …« eröffnet wurde, erschien das Buch mit den Ergebnissen der wissenschaftlichen Erforschung der Verurteilungen wegen Kriegsverrat. In Kenntnis dessen hat Bundesministerin Zypries bei der Ausstellungseröffnung angekündigt, dass die Urteile wohl doch aufgehoben werden können. Aber das hat noch lange gedauert. In der großen Koalition der Bundesregierung gab es erneute Diskussionen, und Frau Zypries hat ihre Zusage zwischendurch wieder relativiert. Die CDU/CSU-Fraktion, allen voran der CSU-Rechtsexperte Norbert Geis, wollte eine Rehabilitierung der »Kriegsverräter« überhaupt nicht. Daher wurde eine Entscheidung immer wieder verschoben, immer wieder neue Anhörungen. Am 16. August 2009 hat Peter Struck im Bundestag gesagt: Wenn jetzt die CDU/CSU nicht mitzieht, dann lösen wir den Fraktionszwang bei der Abstimmung auf und setzen die Rehabilitation mit Hilfe der Grünen-Fraktion durch. Erst dann hat die CDU mit Verweis auf die neuen Forschungen zugestimmt.
    Am 8. September 2009 sind die Urteile wegen Kriegsverrats schließlich pauschal aufgehoben worden. Die Linksfraktion hatte dafür dreieinhalb Jahre gekämpft, dann haben sich die Grünen entschlossen, für die Aufhebung zu stimmen, schließlich auch Teile der SPD. Die Forschung war eindeutig. Auch die CDU/CSU und FDP haben schlussendlich unter der Bedingung, dass die Linksfraktion nicht beim gemeinsamen Antrag dabei sein darf, zugestimmt. Über diese Diskussionen wurde viel in den Medien, im Fernsehen, in der Tagesschau usw. berichtet. Es ging offensichtlich gar nicht mehr um die Opfer – ja, es ist ein Skandal, wie sie mit uns umgegangen sind.
    Die Rehabilitierung der Kriegsverräter wurde beschlossen, weil die Politiker nicht mehr anders konnten. Was bedeutet das für heute, wenn wir so mit der Geschichte umgehen? Was haben wir zum Beispiel am Hindukusch zu suchen? Welche Interessen verteidigen wir da militärisch? Was wäre denn, wenn die armen Länder, die von unseren Ländern seit Jahrhunderten |336| ausgebeutet wurden, Millionen Opfer, Hungeropfer erbracht haben und erbringen – wenn die nun militärisch stärker wären und ihre Interessen am Rhein oder in den Alpen verteidigen würden? Es ist für mich ganz unverständlich: In Deutschland führen wir gegen den Willen der großen Mehrheit der Bevölkerung Krieg am Hindukusch! Mich macht das fassungslos, wie wir mit unserer Geschichte umgehen. Wir in diesem reichen Land, von keinem bedroht, mit unserer Geschichte, sind zu gewaltfreiem Handeln aufgerufen, uns für Gerechtigkeit, für das Leben und für den Frieden einzusetzen

|374| VIII. ANHANG
    1 Die Gründungsversammlung des Reichskriegsgerichts am 1. Oktober 1936 in Berlin; erste

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