Mit reinem Gewissen
der nächsten Post, dass ich doch hingerichtet worden sei. Er hat deshalb sogar nochmals bei offizieller Seite nachgefragt: »Ich erlaube mir höflichst, mich auf Ihr obiges Schreiben zu beziehen. Da mein Sohn von seiner Begnadigung noch nichts weiß, kommen mir Zweifel, ob diese vielleicht inzwischen rückgängig gemacht worden ist. Ich bitte Sie darum recht höflich um Mitteilung, ob die vom Herrn Großadmiral ausgesprochene Begnadigung auf zwölf Jahre Zuchthaus noch in Kraft ist oder inzwischen geändert wurde.«
Wir, mein Freund Kurt Oldenburg und ich, kamen dann nach Esterwegen, ein KZ im Emsland. Im Krieg gab es dort mehrere Lager für Wehrmachtsoldaten, die mit Zuchthaus bestraft und wehrunwürdig waren oder gegen die ein Todesurteil gefällt worden war, wenn sie begnadigt wurden. Wenn die Verurteilten die Emslandlager überlebten, kamen sie in andere Wehrmachtgefängnisse, meist in die Wehrmachtgefängnisse in Torgau, an den zentralen Ort unserer Verfolgung, wo ab 1943 auch das Reichskriegsgericht tagte. Dort wurden wir geprüft, ob wir körperlich und charakterlich geeignet seien, Soldat zu sein. Letztlich waren wir es alle, damit wir als Kanonenfutter verheizt werden konnten. Über 1300 Torgauhäftlinge wurden erschossen, erhängt oder enthauptet. Auch mussten wir oft bei Hinrichtungen zusehen – zur Abschreckung, wie es hieß. Weit über 10 000 Menschen haben die Haftbedingungen nicht überlebt oder sind durch Folter umgekommen. Manchmal bekamen wir Jacken, die hatten vorne einen kleinen Flicken, hinten einen großen Flicken. Dann wussten wir: In dieser Jacke war jemand erschossen worden. Diejenigen, die Torgau überlebten, kamen zu den Strafbataillonen. Bei Kriegsende sind diese Bataillone nur noch an der zusammenbrechenden Ostfront eingesetzt worden, dort, wo mit der Taktik der »verbrannten Erde« alles niedergemacht wurde, ganze Dörfer mitsamt den Einwohnern. Dort wurden wir hereingeschmissen, um mit unserem Leben den chaotischen deutschen Rückzug zu decken. Fast keiner von |329| uns hat überlebt. Auch mein Freund Kurt Oldenburg nicht. Wenn bei uns im Strafbataillon jemand schwer verwundet war, einen Arm oder ein Bein verloren hat oder andere schwere Verwundungen davontrug, haben wir ihn beglückwünscht, dass er nun vielleicht doch nach Hause kam und überleben konnte.
Ich wurde verwundet und kam nach Brünn ins Lazarett. Dort war ich auch mit Soldaten anderer Einheiten zusammen, also solchen aus den Bewährungsbataillonen. Ein tschechischer Arzt, der dort dienstverpflichtet war, behandelte meine Verwundung so, dass sie nur langsam heilte und ich dort fast bis zum Kriegsende bleiben konnte. Wenn das herausgekommen wäre, wäre das als Selbstverstümmelung ausgelegt worden. Wir wären schwer bestraft worden. Einer der Kameraden sollte zurück ins Strafbataillon. Das wollte er natürlich nicht. Deshalb hat er sich im Bad, wo auch der Heizkessel war, eine ganze Schüssel kochendes Wasser über den nackten Körper gegossen, nur damit er da nicht wieder hin musste. Sehr wenige von uns haben den Krieg überlebt.
Nach dem Krieg haben wir gehofft, dass unsere Handlungen anerkannt werden würden. Wir sind aber nur als Feiglinge, als Kriminelle, als Vorbestrafte, als Verräter beschimpft worden, wenn wir uns gemeldet haben. Zuerst hatten wir überhaupt keine Verbündeten, später, viel später hatten wir in der Friedensbewegung der 80er-Jahre einzelne Verbündete, die sich zum Beispiel für Deserteursdenkmäler einsetzten. Das erste Deserteursdenkmal wurde in Kassel aufgestellt, dann eins in Bremen und so fort. Das waren ganz kleine Gruppen, meist Privatinitiativen. Wir sind wirklich an diesem deutschen Staat verzweifelt, und die meisten von uns, die wenigen Überlebenden, sind einfach entwürdigt gestorben – viel zu früh, weil man ohne Würde nicht leben kann. Mein Vater ist auch an Kummer gestorben, der hat das im Krieg alles mitbekommen – auch nach dem Krieg, wie sie mit mir umgegangen sind, hat er mitbekommen. Ich war so traumatisiert, dass ich dem Alkohol verfallen bin. Es ist ja so: Wenn man so weit herunter ist, kann man die Ursachen nicht erkennen. Ich habe seinen ganzen Besitz |330| in kürzerer Zeit mit Anderen, die auch kaputt waren, vertrunken. Dann bin ich nach Bremen gekommen und habe meine Frau kennen gelernt. Trotzdem habe ich mich nicht fangen können und weiter getrunken. Meine Frau war natürlich unglücklich, weil es auch am Nötigsten fehlte. Und dann ist meine Frau bei der
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