Mit reinem Gewissen
hat mit uns weiter versucht, die Urteile aufzuheben; es ist ihr |334| nicht gelungen. Nach zwei Jahren haben wir uns an die PDS gewandt, die auf unseren Wunsch hin den früheren SPD-Gesetz entwurf wörtlich in den Bundestag eingebracht hat. Dabei ist der SPD zu unserem Glück eine Panne passiert. Sie hat zu ihrem eigenen früheren Gesetzentwurf zu Protokoll gegeben, dass dieser Gesetzentwurf »nicht das Papier wert sei, auf dem er steht, dass er nicht die Zeit wert sei, die man brauche, um ihn abzulehnen«. Das kam natürlich in die Presse und war sehr peinlich. Die SPD hat sich später im Plenum bei uns entschuldigt. Erst dann ist es positiv gelaufen. Allerdings wurden 2002 die Urteile wegen Kriegsverrat nicht mit aufgehoben. »Kriegsverrat« war Landesverrat im Krieg. Die Fälle, die inzwischen bekannt sind – es sind nicht viele –, sind alle moralisch, ethisch, politisch motiviert. Die Verfolgten haben Juden versteckt, sie haben Kriegsgefangenen geholfen, sie sind zu den Partisanen gegangen. Gegen sie gab es nur die Todesstrafe und keine Begnadigung. Die Begründung, warum diese Urteile im Jahr 2002 nicht mit aufgehoben wurden, war und ist wirklich ein Skandal vor der Geschichte! Es hieß damals: Trotz der vielen tausend Todesurteile der NS-Militärjustiz können nicht alle aufgehoben werden, und es werden vier »Straftatbestände« als Ausnahme exemplarisch genannt: Misshandlung von Untergebenen, Kriegsverrat, Plünderung und Leichenfledderei. Kriegsverrat in diesem Kontext! Und die zweite Begründung ist vor der Geschichte noch skandalöser: Es hätte eine nicht auszuschließende Lebensgefährdung der deutschen Soldaten durch Kriegsverrat gegeben. Nun war ja nicht jeder Soldat ein Täter, aber alle dienten in den Armeen der Wehrmacht, die den Vernichtungskrieg führte. Ich habe damals im Bundestag gesagt, es hätten ja Millionen von KZ-Insassen und Zivilisten und auch Soldaten nicht mehr zu sterben brauchen, wenn mehr Kriegsverrat begangen worden wäre! Und wenn man die nicht auszuschließende Lebensgefährdung für deutsche Soldaten höher stellt als die mögliche Rettung von Zivilisten und KZ-Insassen, die millionenfach nicht mehr hätten zu sterben brauchen, dann hat Deutschland mit seiner Nazivergangenheit nicht eindeutig gebrochen. Bundesjustizministerin Zypries hat die Argumente, |335| also u. a. die durch Kriegsverrat nicht auszuschließende Lebensgefährdung für deutsche Soldaten, noch im Jahr 2006 wiederholt. Erst als 2007 die Ausstellung »Was damals Recht war …« eröffnet wurde, erschien das Buch mit den Ergebnissen der wissenschaftlichen Erforschung der Verurteilungen wegen Kriegsverrat. In Kenntnis dessen hat Bundesministerin Zypries bei der Ausstellungseröffnung angekündigt, dass die Urteile wohl doch aufgehoben werden können. Aber das hat noch lange gedauert. In der großen Koalition der Bundesregierung gab es erneute Diskussionen, und Frau Zypries hat ihre Zusage zwischendurch wieder relativiert. Die CDU/CSU-Fraktion, allen voran der CSU-Rechtsexperte Norbert Geis, wollte eine Rehabilitierung der »Kriegsverräter« überhaupt nicht. Daher wurde eine Entscheidung immer wieder verschoben, immer wieder neue Anhörungen. Am 16. August 2009 hat Peter Struck im Bundestag gesagt: Wenn jetzt die CDU/CSU nicht mitzieht, dann lösen wir den Fraktionszwang bei der Abstimmung auf und setzen die Rehabilitation mit Hilfe der Grünen-Fraktion durch. Erst dann hat die CDU mit Verweis auf die neuen Forschungen zugestimmt.
Am 8. September 2009 sind die Urteile wegen Kriegsverrats schließlich pauschal aufgehoben worden. Die Linksfraktion hatte dafür dreieinhalb Jahre gekämpft, dann haben sich die Grünen entschlossen, für die Aufhebung zu stimmen, schließlich auch Teile der SPD. Die Forschung war eindeutig. Auch die CDU/CSU und FDP haben schlussendlich unter der Bedingung, dass die Linksfraktion nicht beim gemeinsamen Antrag dabei sein darf, zugestimmt. Über diese Diskussionen wurde viel in den Medien, im Fernsehen, in der Tagesschau usw. berichtet. Es ging offensichtlich gar nicht mehr um die Opfer – ja, es ist ein Skandal, wie sie mit uns umgegangen sind.
Die Rehabilitierung der Kriegsverräter wurde beschlossen, weil die Politiker nicht mehr anders konnten. Was bedeutet das für heute, wenn wir so mit der Geschichte umgehen? Was haben wir zum Beispiel am Hindukusch zu suchen? Welche Interessen verteidigen wir da militärisch? Was wäre denn, wenn die armen Länder, die von unseren Ländern
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