Mit reinem Gewissen
entwürdigt gestorben – viel zu früh, weil man ohne Würde nicht leben kann. Mein Vater ist auch an Kummer gestorben, der hat das im Krieg alles mitbekommen – auch nach dem Krieg, wie sie mit mir umgegangen sind, hat er mitbekommen. Ich war so traumatisiert, dass ich dem Alkohol verfallen bin. Es ist ja so: Wenn man so weit herunter ist, kann man die Ursachen nicht erkennen. Ich habe seinen ganzen Besitz |330| in kürzerer Zeit mit Anderen, die auch kaputt waren, vertrunken. Dann bin ich nach Bremen gekommen und habe meine Frau kennen gelernt. Trotzdem habe ich mich nicht fangen können und weiter getrunken. Meine Frau war natürlich unglücklich, weil es auch am Nötigsten fehlte. Und dann ist meine Frau bei der Geburt des sechsten Kindes verstorben. Erst von da an habe ich Verantwortung für die Kinder und auch für mich übernehmen können, dürfen. Ich habe das erste Jahr gar nicht zum Grab meiner Frau gehen können. Mein zweitjüngster Sohn ist öfter hingegangen. Jetzt fahre ich jede Woche mit dem Fahrrad hin. Und ich denke, es ist in Ordnung. Mit Schuldgefühlen habe ich meinen Kindern auch nicht helfen können. Im Gegenteil. Aber ich kriege diese Schuldgefühle nicht ganz weg. Da kommt vieles zusammen. Ich hatte auch meine eigene Geschichte als Deserteur nicht mehr wahrgenommen. Und dann ist in Bremen-Vegesack, wo ich wohne, ein kleines Deserteurdenkmal eingeweiht worden. Das steht heute noch da. Wenn wir einen Film drehen, drehen wir ihn oft bei diesem kleinen Ding. Später sagte unser damaliger Bürgermeister Wedemeier: Immer wenn er zur Hardthöhe, zu Verteidigungsminister Wörner muss, dann muss er sich anhören, dass das Denkmal weg müsse. Sonst bekomme Bremen keine Rüstungsaufträge mehr. Ich war ja in der Friedensbewegung, aber mein Schicksal hatte ich einfach nicht so wahrgenommen. Mir ist klar geworden: Rüstung hat ja auch heute mit Krieg zu tun. Und seitdem beziehen wir das kleine Deserteurdenkmal in unseren Kampf ein. Das war 1986 und hat mich damals dazu gebracht, mein Schicksal wieder in die Hand zu nehmen und darum auch zu kämpfen.
Ähnlich ging es den meisten Opfern der Kriegsgerichte: Unsere Leute waren einfach kaputt, auch weil sie nach dem Krieg so demütigend behandelt wurden. Wir haben keine richtige Arbeit bekommen, wir waren ja vorbestraft.
Die Gründung unserer Bundesvereinigung war auch von Friedensbewegten aus Initiativen für Deserteurdenkmäler, dem renommierten Historiker Manfred Messerschmidt und anderen |331| angeregt worden. Diese Initiativen und Leute haben zu uns ehemaligen Deserteuren gesagt: Ihr müsst das machen. Wir bleiben eure Lobby, wir kriegen das aber alleine nicht hin; ihr müsst das in die Hand nehmen. Ich wollte das eigentlich nicht, weil ich mich in der Friedensbewegung recht wohl fühlte. Ich habe dann aber zugestimmt. Wir haben Adressen aus dem Emsland bekommen, wo im Krieg viele von uns inhaftiert waren. 37 Leute, Überlebende, darunter eine Frau (Luise Röhrs aus Bremen) sind Ende Oktober 1990 zusammengekommen. Wie ich schon sagte, waren wir meist ziemlich kaputt, daher haben die Angehörigen sie meist begleitet. Es war schon spannend: Wir haben uns am Vorabend der Vereinsgründung, einem Freitagabend, getroffen – diesen ersten Abend, den hätte man aufzeichnen müssen! Viele haben ihr Leben lang, auch gegenüber den Angehörigen, nicht darüber sprechen können. Und dann haben einige gesprochen. Andere haben geweint. Das war wirklich ein ganz ergreifender Abend. Am nächsten Tag ging es ans Eingemachte. Dann war da die Satzung. Die war aus Sicht einiger Leute eher für einen Sportverein geeignet, und jeder wollte seine Meinung einbringen. Wir haben gemerkt, wir kommen so nicht zu einem Ende, am Sonntagmittag musste Schluss sein. Wenn wir es bis dann nicht geschafft hätten, hätten wir nie wieder zusammengefunden. Manfred Messerschmidt hat gesagt, Ludwig, jetzt übernimm du mal die Sache. Ja, und dann habe ich gesagt: Jetzt wird nicht lange debattiert. Ja oder nein, Hand hoch oder nicht. Dann wurde die Satzung umgearbeitet – wir hatten gute Leute, die uns begleiteten. Sonntagmittag bis zum Mittagessen, sozusagen mit dem Gongschlag, hatten wir es geschafft und die Bundesvereinigung der Opfer der NS-Militär justiz e. V. gegründet. Seitdem kämpfen wir in der Öffentlichkeit, aber besonders auch im Bundestag um Rehabilitierung, um Aufhebung der Urteile, um unsere späte Würde.
Als wir anfingen zu kämpfen, habe ich mich an viele Leute in Bonn
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