Mit Sherlock Holmes durch Raum und Zeit 2
ist doch offensichtlich.«
»Noch vor einem Augenblick waren Sie nicht dieser Meinung«, sagte Ralph. »Doch Sie haben recht… indem Sie mir zustimmen. Und jetzt stellen wir einige Hypothesen auf. Scharlach hat nun ein Kunstwerk, doch er möchte eine Nachricht darin unterbringen. Vielleicht irgendeine Karte, die die Polizei – oder jemand anders, der nach ihm sucht – direkt zu dem Ort führt, an dem er gefangengehalten wird.
Wie kann er dies bewerkstelligen, ohne daß es den Entführern auffällt? Er muß so feinfühlig vorgehen, daß das Bild ihre Untersuchung übersteht. Wie feinfühlig, das hängt wohl von ihrer Bildung und Wahrnehmungsfähigkeit ab. Aber eine zu feinfühlige Nachricht kann von niemandem gedeutet werden. Und er ist in der Symbolwahl bezüglich der Situation, der Namen oder Berufe seiner Entführer – falls er sie kennt – und die besondere Lage seines Gefängnisses begrenzt – falls es ihm bekannt ist.«
»Falls, falls, falls!« sagte Straße und warf die Hände in die Luft.
»Wenn das Wörtchen wenn nicht wär«, sagte Ralph. »Doch entsinnen wir uns zunächst, daß Scharlach in der deutschen Kultur so gut zu Hause ist wie in der englischen. Er liebt die Wortspielereien eines Carroll oder Baum. Und so ist er durch die Umstände der Situation vielleicht gezwungen, Wortspiele in beiden Sprachen zu ersinnen.«
»Das sähe ihm ähnlich«, sagte Frau Scharlach. »Doch ist es wahrscheinlich, daß er auf diese Methode zurückgreift, wenn er weiß, daß nur sehr wenige Menschen ihn verstehen würden?«
»Wie ich schon sagte, es ist ein Griff nach dem Strohhalm, Madame. Aber besser als nichts.
Nun, Weißstein, was immer ich auch sein mag, ich bin ein Hund. Daher bin ich farbenblind.« (Aber nicht während seiner gesamten Karriere. Schlagen Sie nach in Das Abenteuer des müden bunten Mannes; noch nicht erschienen.) »Bitte beschreiben Sie die Farben aller Gegenstände auf dieser Leinwand.«
Straße schnaubte, doch wir ignorierten ihn. »Danke, mein lieber Weißstein«, sagte Ralph, als ich fertig war. »Und nun trennen wir das Bedeutsame vom Unbedeutsamen. Obwohl in diesem Fall allerdings selbst das Unbedeutsame bedeutsam ist. Achten Sie auf die beiden gestrichenen Wände, die das Gemälde dreiteilen – wie Frankreich. Die eine verläuft von der Mitte der linken Seite zur Mitte der Oberseite hinauf. Die andere verläuft von der Mitte der rechten Seite zur Mitte der Unterseite hinab. Alle drei Teile sind mit seltsamen, scheinbar beziehungslosen – und oftmals unverständlichen – Gegenständen gefüllt. Die Fauve Mauve-Vertreter behaupten jedoch immer wieder, daß ihre Schöpfungen dem kollektiven Unterbewußtsein entstammen, nicht dem individuellen oder persönlichen, und so für jeden verständlich seien.«
»Verdammter Unsinn!« sagte ich und vergaß Lisa in meiner Entrüstung.
»Nicht in diesem Fall, nehme ich an«, sagte Ralph. »Nun betrachten Sie, daß die beiden Wände, die der Großen Chinesischen Mauer ähneln, viele Nullen auf ihren Spitzen tragen. Und daß innerhalb der Gebiete, die diese Mauern umschließen, weitere Nullen verstreut sind. Was sagt Ihnen das?«
»Null ist nichts«, entgegnete ich.
»Eine rudimentäre, aber gültige Feststellung, Herr Doktor«, sagte Ralph. »Ich würde behaupten, daß Scharlach versucht, uns zu sagen, daß die Gegenstände innerhalb der Mauern nichts bedeuten. Der Mittelteil enthält die Nachricht. Dort befinden sich keine Nullen.«
»Beweisen Sie das«, sagte Straße.
»Ein Schritt nach dem anderen – wenn man den ersten tun kann. Beachten Sie die seltsame Männergestalt in der oberen rechten Ecke. Die obere Hälfte ist zweifellos Sherlock Holmes, mit seiner Jagdmütze, dem Mantel, dem Vergrößerungsglas in der einen und der Pfeife in der anderen Hand. Obwohl man nicht erkennen kann, ob es sich um seine Bruyère, die er beim Nachdenken, oder um die aus Ton handelt, die er beim Streiten raucht. Die untere Hälfte, mit der Lederhose und so weiter, stellt offensichtlich einen Deutschen im allgemeinen und einen Bayern im besonderen dar. Holmes’ Halbgestalt bedeutet für den aufrechten Wahrheitssuchenden zweierlei. Erstens, daß wir bei diesem Bild Detektivmethoden anwenden müssen. Zweitens, daß die Hälfte der Rätsel auf englisch dargestellt sind. Die untere Hälfte bedeutet, daß die Hälfte der Rätsel auf deutsch dargestellt sind. Womit ich gerechnet habe.«
»Lächerlich!« sagte Straße. »Und was bedeutet dann die nächste
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