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Mit sich selbst befreundet sein

Mit sich selbst befreundet sein

Titel: Mit sich selbst befreundet sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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Leigh von 1993.
    Eine treffliche Gegenüberstellung zweier Lebenshaltungen, die in der modernen und postmodernen Welt aufeinander treffen. Intellekt besitzen beide, Kyniker wie Zyniker, im Übermaß, aber sie setzen ihn auf unterschiedliche Weise ein. Der Intellekt erlaubt, Verhältnisse zu durchschauen bis auf den Grund, Strukturen zu sehen, wo für andere nur Oberfläche ist, und Möglichkeiten ausfindig zu machen, damit umzugehen; insofern ist der Intellekt stets eine Macht. Der Intellekt, der den Intellektuellen charakterisiert, mag teils Anlage, teils Ausbildung sein, in jedem Fall ist er ein Privileg, kein Verdienst eines Einzelnen. Den Intellekt nur mit sich selbst und irgendwelchen filigranen Denkübungen befasst sein zu lassen, während andere seiner bedürften,um aus einer unverschuldeten Unmündigkeit herauszufinden, ist Zynismus . Eine Lebenskunst, die neben aller notwendigen Selbstbeziehung eines Selbst nicht zumindest auch auf die Verbesserung der Verhältnisse derer abzielt, die dies aus eigener Kraft nicht vermögen, ist zynisch . Sie ist möglich, sie ist eine Option, aber der eigentlichen Fülle des Daseins bleibt sie, unbekümmert um andere und nicht eingebunden in Bindungen und Beziehungen, die »Sinn machen«, zwangsläufig fern.
    Wenn der Umgang mit sich selbst nach der Postmoderne, im Hinblick auf eine andere Moderne, ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt wird, soll vorweg klar sein, dass dies unter kynischen , nicht zynischen Vorzeichen geschieht. Kynisch ist die Haltung, dem eigenen Wohlergehen keine übertriebene Aufmerksamkeit zu widmen, die eigene Befindlichkeit nicht für die bedeutsamste der Welt zu halten, vielmehr über das Selbst hinaus sich um diejenigen zu sorgen, die in anderem Maße Anlass haben, sich um sich und ihr Leben zu ängstigen. Sie, die wider Willen in der Angst unterzugehen drohen, bedürfen des zeitweiligen Beistands desjenigen, der die Angst selbst kennt und der die Hilfestellung für andere als Bestandteil seiner Lebenskunst versteht – ganz so, wie er selbst die Hilfe anderer zu anderer Zeit gerne in Anspruch nähme. Die Hilfestellung des Intellekts ist über die unmittelbare Situation hinaus eine strategische: Sie zielt auf die Aufklärung und mögliche Bewusstwerdung, die »Bildung«, mit der eine nachhaltige Befreiung aus der drückenden Enge der Ängste und Verhältnisse erst möglich wird. »Vielleicht finden Sie meinen Humanismus altmodisch«, meinte 2002 die iranische Regisseurin Samira Makhmalbaf in einem Gespräch, »aber Bildung ist die einzige Utopie, an die ich glauben und für die ich in meinen Filmen eintreten kann.« Im Unterschied zur zynischen Haltlosigkeit, die keinen Sinn und Wert im Dasein mehr ausmachen kann, zeichnet es die Haltung des Kynismus aus, eine grundlegende Sinn- und Wertlosigkeit mit eigener Sinngebung und Wertung zu beantworten. Gegen den Zynismus führtein Kyniker nicht etwa ethische, sondern in erster Linie existenzielle Gründe mangelnder Lebbarkeit und Lebensklugheit ins Feld: nicht lebbar, da eine innere Aushöhlung das zynische Subjekt, auch ein zynisches System früher oder später zu Fall bringt; nicht klug, da der Zufall der Existenz es mit sich gebracht hat, auf dieser Seite der Existenz sich vorzufinden und nicht auf jener – diese Verhältnisse könnten sich im Verlaufe der Existenz noch umkehren, sodass das Selbst seinerseits auf den Beistand anderer existenziell angewiesen wäre.
    Nicht jeder Lebenskünstler muss ein Kyniker sein. Auch muss nicht jede kynische Existenz die eines Johnny sein, dessen Sache, wie so häufig bei Kynikern, die Achtsamkeit auf irgendwelches Maß nicht ist: Maßlos ist er in der Beziehung zu sich selbst, nicht etwa in Form einer Selbstfixiertheit, vielmehr, ganz gegenteilig, in seinem Sichgehenlassen. Maßlos ist er in der Beziehung zu anderen, insbesondere, ein antikes kynisches Erbgut, in seiner Haltung und seinem Verhalten gegenüber Frauen. Maßlos ist er in seiner Beziehung zu »den Verhältnissen«, die sich verändern sollen, um sozial gerechter zu werden – aber er selbst ist nicht in der Lage, seine Beziehungen zu sich und anderen gerechter zu gestalten. Erst müssten »die Verhältnisse« andere werden? Aber genau das ist zweifelhaft, denn selbst unter veränderten Verhältnissen wäre Johnny wohl immer noch derselbe – und so wären es auch die Verhältnisse, wenn vielleicht auch unter dem Namen eines »anderen Systems«.
    Eine maßvolle kynische Haltung bestünde darin, die

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