Mit sich selbst befreundet sein
erforderlich erscheinenden Veränderungen und Verbesserungen nicht nur zu einer gesellschaftlichen Forderung zu machen, sondern auch mit dem Vollzug der eigenen Existenz sich daran zu versuchen. Nicht unentwegt einen Diskurs nur mit verbalen Argumenten zu bestreiten, die letztlich nichts als Worte bleiben, sondern auch existenzielle Argumente in den Diskurs einzuführen, die Art und Weise des Vollzugs der Existenz selbst zum Argument zu machen, in einer Sprache, die universell verständlich ist, derSprache des wirklich gelebten Lebens nämlich. Denn dadurch wird deutlich, wofür und wogegen jemand steht, und dies nicht in wohlfeilen Worten, sondern mit existenzieller Beglaubigung. Vielleicht erscheint ein Einzelner ohnmächtig, aber es käme darauf an, wie Adorno in einem Aphorismus seiner Minima Moralia (1951) sagt, von der eigenen Ohnmacht sich nicht dumm machen zu lassen. Ebenso gilt umgekehrt, über Adorno hinaus: von der eigenen Dummheit, von den »Verblendungszusammenhängen«, in denen das Selbst lebt, sich nicht ohnmächtig machen zu lassen. Mag sein, dass der Versuch des Anderslebens scheitert, aber es ist nicht schlimm zu scheitern – schlimm ist nur, nichts versucht zu haben und alle Last der Arbeit an Veränderung anderen aufzubürden, als seien sie die natürlichen Vollzugsorgane der besseren Einsichten des Selbst. Die Wahrheit ist freilich, dass Kyniker wie Johnny den Wunsch nach Veränderung und Verbesserung nicht wirklich hegen, da sie sich im eigenen Unglücklichsein und in der Anklage der bestehenden falschen Verhältnisse gewohnheitsmäßig eingerichtet haben, ja ihre Identität daraus beziehen, die im Laufe der Zeit starr geworden ist. Die träge Gewohnheit ist übermächtig – wogegen nicht wirklich etwas zu sagen ist, denn Gewohnheiten sind ein unverzichtbares Instrument zur Einrichtung des Lebens. Ärgerlich ist nur, dieses Arrangement mit der Kritik am Bestehenden und gar mit »Zivilisationskritik« zu verbrämen, um sich und andere über die mangelnde Bereitschaft zur individuellen Arbeit, beginnend bei sich selbst, hinwegzutäuschen.
Zweifellos ist eine kritische Haltung sich selbst wie anderen und »den Verhältnissen« gegenüber unabdingbar, soll die Möglichkeit von Veränderung und Verbesserung nicht aus den Augen verloren werden. Aber selbst die Kritik, die erforderlich ist, bedürfte noch einer Ethik und Asketik des Maßes : nicht umstandslos und überall, nicht pausenlos und angesichts von allem, nicht in gleicher Lautstärke ohne Ansehen der Größenordnung des Problems. Alle Kritik ist ein »Scheiden« (griechisch krínein ), das vomKritisierten schmerzlich empfunden wird. Maßvoll wäre, dies nach Anlass, Situation, Person, Aussicht auf Verbesserung genau zu bemessen und es nicht, in der Hoffnung, irgendetwas zu treffen, im Übermaß einzusetzen, mit der Folge, nur noch zu verletzen – oder auf völlige Ignoranz zu stoßen. Ein zuverlässiger Maßstab ist der eigene Umgang mit Kritik von Seiten anderer; unschwer lässt sich dabei erfahren, dass die Kritik, die nur Kritikwürdiges sieht, sich selbst unterminiert: Der Kritisierte, in diesem Fall das Selbst, sieht in der wilden Flut der Kritik keinen Ansatzpunkt mehr, da alles ganz aussichtslos ist; jede Differenzierung erscheint sinnlos, da alles in gleicher Weise lautstark verurteilt wird. Die Kritik, die nicht relativiert, ruiniert sich selbst. Umgekehrt gewinnt die Kritik, die sich nicht in der Zerstörung des Bestehenden erschöpft, sondern die mögliche Arbeit am Anderen existenziell manifestiert, an Attraktivität, somit an Effizienz. So könnte, ohne damit andere Optionen auszuschließen, eine gemäßigte kynische Ausrichtung der Lebenskunst gestaltet sein. Was aber ist mit »Kunst« gemeint, wenn von Lebenskunst die Rede ist, zu der das Selbst finden will, das von Ängsten und Schwächen heimgesucht wird?
Die Kunst in der Lebenskunst
Künste sind Brücken über Abgründe. Aus abgründigen Erfahrungen gehen sie hervor und auf sie versuchen sie Antworten zu finden. Das gilt wohl für jede Kunst, auch für die Lebenskunst. Abgründe tun sich auf im Verhältnis zwischen Menschen und im einzelnen Menschen selbst, zwischen ganzen Kulturen und innerhalb einer spezifischen Kultur wie etwa der »Moderne« selbst; Abgründe schließlich auch in der menschlichen Existenz überhaupt, die sich als Konstanten durch die Zeiten hindurch erweisen und sich dem Versuch zu verstehen widersetzen. Um dennoch zu leben und »auf schöne
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