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Mit sich selbst befreundet sein

Mit sich selbst befreundet sein

Titel: Mit sich selbst befreundet sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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Wirklichkeit mit ihrer Zweckgebundenheit setzt das Selbst sich mit Hilfe dieser Kultur hinweg. Über seine Haltung zur Gegebenheit und Wirklichkeit befindet es selbst und erschließt auf diese Weise andere, immer wieder andere Möglichkeiten des Lebens, die ganz und gar ihm selbst zu Eigen sind. Es setzt sich seinen Zweck selbst, eben das zweckfreie Spiel, und es geht im Spiel innige Bindungen mit dem Leben, mit sich selbst und anderen ein. So wird das Leben zur Kunst, das Spiel zum Grundelement menschlicher Würde und zum eigentlichen Sinn des Lebens: Botschaft einiger Filme von Kaurismäki, die von einfachen Menschen handeln, die auf kuriose Weise ihren Winkel der Existenz finden und gegen alle »herrschenden Verhältnisse« eigensinnig ihre Eigenheit behaupten.
    Entscheidend dafür ist jedoch, selbst die Sorge für sich zu übernehmen und nicht gleichgültig gegen sich zu bleiben. Das Leben aufgrund dieser Sorge bewusst zu gestalten, erfordert persönliche Antworten auf Fragen der Art: Was ist das Schöne, für das es sich zu leben lohnt, über die bloße Nützlichkeit und unmittelbare Vorteilhaftigkeit hinaus? Was ist der Sinn, der eine unablässig sprudelnde Quelle für dieses Leben darstellt? Wie lässt sich Freude im Leben finden, die das Traurigsein nicht ausschließt? Wo ist das profunde Glück zu erfahren, das nicht von zufälligen Lüsten abhängig ist? Wie können Beziehungen zu anderen gestaltet werden, in deren Netz es sich leben lässt? Vorweg aber kommt es darauf an, sich um die Beziehung zu sich selbst zu sorgen, die die Grundlage für so vieles ist.

Von der Sorge für sich selbst
Beziehung zu sich selbst?
Die Fremdheit des Ich im Umgang mit sich
    Die Sorge, die sich vordrängt, ist ängstlicher Natur. Sie wirft die Frage nach der Beziehung des Ich zu sich selbst auf. Wenn plötzlich, woher auch immer, im vertraut erscheinenden ego ein gänzlich fremd erscheinendes alter ego auftaucht, dann begegnet das Ich sich selbst mit Ratlosigkeit und profundem Misstrauen: »Ich bin mir fremd.« Keinesfalls lässt sich behaupten, dieses andere und selbst fremde Ich habe mit dem vertrauten nichts zu tun, denn es wohnt offenkundig »unter demselben Dach«. Aber es stellt im Ich eine Macht gegen das Ich dar, von einer Gewalt, die ohne weiteres und ohne Vorwarnung in der Lage ist, das gesamte Ich zu unterlaufen, auszuhebeln und auszulöschen; kaum denkbar, in eine Beziehung dazu zu treten, ein ruinöser innerer Zwiespalt. Handelt es sich nur um eine Chimäre des Denkens, eine obsessive Vorstellung, die zum vorgestellten Ich gehört, dem willentlichen Zugriff im Grunde zugänglich? Oder ist es ein Gefühl, ein Affekt, ein wirklicher Bestandteil des gegebenen Ich , in dem unwillkürlich etwas geschieht, wovon das Denken nichts weiß, sodass es im vorgestellten Ich nicht vorkommt? Resultieren meine Ängste aus der abgründigen Kluft zwischen zwei verschiedenen Erfahrungen von »Ich«?
    In ihrer Heftigkeit ist diese Erfahrung nicht alltäglich. Alltäglicher erscheint die Erfahrung des Ich im Umgang mit sich, die jeder Spiegel vermittelt. Von ihrer initialen Spiegelerfahrung berichtet Bettine von Arnim auf eindrucksvolle Weise in ihrem Buch Goethes Briefwechsel mit einem Kinde (1835): »Es war mir eine große Überraschung, wie ich im dreizehnten Jahre zum ersten Mal mit zwei Schwestern, umarmt von der Großmutter, die ganze Gruppe im Spiegel erblickte. Ich erkannte alle, aber die eine nicht, mit feurigen Augen, glühenden Wangen, mit schwarzem,fein gekräuseltem Haar (…) und ich kann’s nicht länger bezweifeln, dass ich mein Bild im Spiegel erblicke.« Nicht jede Ich-Begegnung im Spiegel verläuft so freudig – eine weniger freudige Erfahrung vermittelt der allmorgendliche Blick in den Spiegel, als habe das Ich noch nie sich selbst gesehen, als sei es fremd für sich, gänzlich fremd. Das blickende Ich ist dabei das vertraute, vorgestellte, das aus dem Spiegel entgegenblickende das befremdliche und doch gegebene; in aller Regel ist das, was als gegeben gespiegelt wird, nicht identisch mit dem, was das Ich sich vorstellt: »Ich sehe mich, aber ich erkenne mich nicht.« Das Ich erkennt sich nicht, da etwa Falten im Gesicht oder Ringe unter den Augen auf Gründe und Abgründe des gegebenen Ich verweisen, von denen das vorgestellte Ich nichts wissen will, ohne sie doch im Moment der Besinnung völlig leugnen zu können. In jedem Fall aber wirkt die Reflexion im Spiegel wie ein Blick von außen auf sich und befördert

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