Mit sich selbst befreundet sein
nicht sehr häufig wieder von vorne angefangen werden, um es anders und besser zu machen. Was geschehen ist, ist geschehen und prägt alle weitere Existenz. Daher kann ein Misslingen im Leben noch bitterer erscheinen als im Spiel. Zwar kann auf ein »neues Spiel, neues Glück« gesetzt werden, das heißt auf eine veränderte Konstellation, auch eine andere Interpretation, die sich günstiger auswirkt als zuvor. Unhintergehbar für dasSpiel des Lebens ist jedoch die Regel, es zwar in Teilen , nicht aber im Ganzen revidieren zu können, jedenfalls soweit die menschliche Erkenntnis reicht. Eine Revidierbarkeit im Ganzen müsste auf die Möglichkeit der Wiederholung, einer Wiedergeburt vielleicht, eines da capo wenigstens in Form anderer möglicher Existenzen setzen.
Als signifikant für jedes Leben erscheinen aber vor allem diese Phänomene: Zufälligkeit, Widerständigkeit, Polarität. Wenn das Leben als Spiel verstanden werden soll, muss die Lebenskunst damit zurechtkommen können. Das Phänomen des Zufälligen bringt es mit sich, dass vieles im Leben nicht gewählt und nicht geplant wurde, sondern eben so geworden ist, wie es ist: Aus einer Abfolge von Zufällen entsteht die Form des ganzen Lebens. Und doch ist auch hier eine Wahl im Spiel, denn entscheidend ist, ob das Selbst die Zufälle gewähren lässt, ob es sie sich sogar zunutze macht oder sie nur abzuweisen sucht. Zufälle liefern das Material für Versuche und Experimente, an die auch nur zu denken dem Selbst die Kreativität gefehlt hätte. Daher käme es darauf an, ihnen einigen Raum zur Verfügung zu stellen, um Möglichkeiten fürs Leben zu erschließen, die keine Lebensplanung, die den Zufall auszuschließen versucht, je bereitstellen kann. Glücklicherweise wächst in Situationen krisenhafter Zuspitzung die Bereitschaft, Zufälle aufzunehmen, ganz von selbst. Das Einfallstor für sie, sonst eine Frage der bewussten Disposition, steht dann weit offen, denn das Selbst ist auf sie angewiesen, will es der Sackgasse des Lebens entkommen. Die Steigerung der offensiven Haltung zum Zufall bestünde darin, das Leben im Ganzen und in allen Details zum Würfelspiel zu machen. Die gegenteilige defensive Haltung würde versuchen, jeden Zufall auszuschließen und das Leben vollständig zum Gegenstand eines Plans zu machen.
Aber lässt sich das Leben wirklich planen ? »Ja, mach nur einen Plan«, heißt es in Bertolt Brechts Dreigroschenoper : »Sei nur ein großes Licht!/Und mach dann noch ’nen zweiten Plan/Gehntun sie beide nicht.« Dieses »Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens« ist ein einziger Abgesang auf die Planbarkeit, denn was »dazwischen kommt«, ist eben das Leben in seiner Unvorhersehbarkeit, sind Lug und Trug, eigene Dummheit, die Schlechtigkeit des Lebens, Selbstbetrug. Es zeigt sich ein chaotisches, unentwirrbares Ineinanderwirken von Aktion und Reaktion, Tun und Lassen, Auf und Ab, Vor und Zurück, Um- und Abwegen: All das ist Leben, eher ein komplettes Durcheinander als ein Plan, und ein Plan allenfalls um den Preis, sämtlicher Spannung und Abwechslung des Unerwarteten und Unmöglichen verlustig zu gehen. Folgt daraus, dass es sinnvoller ist, von jeder Planung abzusehen? Planung ist eine Option, der Verzicht auf sie eine andere. Der Verzicht kann allerdings zur Folge haben, zum Spielball anderer zu werden, die selbst sehr wohl Pläne verfolgen. Daher macht es durchaus Sinn zu planen – nur nicht mit der Erwartung, das Leben werde sich dem fügen, eher um eine eigene Vorstellung zu formulieren und somit ein Korrektiv fürs Leben zu gewinnen: Hieran lässt sich ermessen, wie »anders als gedacht« es kommt, um dann darüber nachdenken, was davon hinzunehmen ist und was nicht.
Sinnvoller erscheint freilich, vom Gestalten zu sprechen, dessen Bestandteil ein Planen sein kann und das doch konkreter und zugleich poröser ist: zum einen als Aktivität , als vorsätzliche Arbeit an der Verwirklichung eines Vorhabens; zum anderen als Passivität , etwas geschehen zu lassen, sich vom Leben führen und zuweilen verführen zu lassen. Nicht nur ein aktives Tun also, sondern auch ein passives Lassen, um auf diese doppelte Weise das eigene Leben und sich selbst zu gestalten. Anstelle eines rationalen Lebensplans handelt es sich dabei eher um ein poetisches Lebenskonzept , eine Konzeptkunst als Bestandteil der Lebenskunst, um auf diese Weise, wie die Romantiker sich dies erträumten, zum Dichter des eigenen Lebens zu werden und das Leben zum
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