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Mit sich selbst befreundet sein

Mit sich selbst befreundet sein

Titel: Mit sich selbst befreundet sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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Roman zu machen. Wie sonst sollte das Selbst sich in der unübersichtlichen Lebenslandschaft bewegen, die ausgebreitetdaliegt und doch keine bloße res extensa ist, sondern ein Ökosystem, in dem vieles im Fluss ist?
    So lässt sich dem Phänomen des Zufälligen der Raum zugestehen, den es sich im Zweifelsfall ohnehin selbst nimmt. Ist es nicht so, dass Zufälle oft einen verblüffenden Sinn offenbaren? Jedenfalls ist nicht zu leugnen, dass sie scheinbar planvoll Zusammenhänge fügen, die »Sinn machen«. Jedenfalls dann, wenn sie »passen«; wenn aber nicht, dann handelt es sich eher um »Schicksalsschläge« ohne erkennbaren Sinn. Zufälle zeichnen zuweilen Linien ins Leben, die von verblüffender Logik sind, entsprechen dabei auch mal dem, was das Selbst sich selbst vorgestellt hat, und stehen dem ein andermal wiederum mit einiger Konsequenz entgegen. Liegt das ordnende Prinzip dafür im Selbst oder außerhalb? Dass ein »verborgener Sinn«, ein Zusammenhang in der Form des Zufalls zutage tritt, lässt sich weder definitiv ausschließen noch zweifelsfrei bestätigen, es lässt sich nur deuten. Den Zufall magisch zu deuten, haben beispielsweise die Surrealisten unternommen; wichtig daran erscheint jedoch nicht die Magie, sondern die Arbeit der Deutung , Zufälle überhaupt auf ihren möglichen Sinn hin zu befragen: So schöpft das Selbst aus der Fülle möglicher Bedeutungen und arbeitet an der Aneignung dessen, was zufällig geschieht, statt nur gleichgültig darüber hinwegzugehen.
    Signifikant für das Leben ist ferner, in Überschneidung mit der Zufälligkeit und über sie hinaus, das Phänomen des Widerständigen , auch Widerwärtigen, das dem Selbst und seinen Vorhaben entgegensteht. Denn andere verfolgen andere Vorhaben, die mit den eigenen kollidieren. Oder unabhängig davon geschieht etwas, das dem Selbst abseits allen Wollens ein Müssen auferlegt: Verletzung, Krankheit, Tod, unabhängig von eigener Beteiligung daran oder Verantwortung dafür. Die Lebenssituation wird davon beeinflusst oder im Ganzen verändert, und zwar irreversibel, ohne dies je wieder ungeschehen machen zu können. Häufig wird dieses Widerständige, wenngleich nicht ganz zutreffend,mit »der Realität« identifiziert und man wagt zu prophezeien, das Selbst werde sich »noch den Kopf wund stoßen« daran. Und es kommt vor, dass das Selbst tatsächlich »die Rechnung ohne den Wirt gemacht hat«. Der Wirt, das ist in diesem Fall »das Leben«, das durch unvorhersehbare Geschehnisse, überraschende Unmöglichkeiten, verhängnisvolle Entwicklungen, nie erwartete Zufälligkeiten die Pläne durchkreuzt, als wäre es selbst ein absichtsvolles Subjekt. Einst war hierfür vom »Schicksal« die Rede, aber dieser Begriff wird in der Moderne nicht gerne gebraucht, um die Illusion völligen Freiwerdens von jedweder missliebigen Einschränkung des Lebens, den Traum von seiner beliebigen Gestaltbarkeit nicht zu verlieren.
    Wenn das Leben als Spiel verstanden werden soll, muss die Lebenskunst allerdings ein Spiel mit dem Widerständigen sein können. Die Frage, wie dies vorstellbar sei, da ein Einfluss darauf doch nicht möglich ist, zumindest nicht im Nachhinein, lässt sich ohne weiteres beantworten: Denn Gestaltung heißt ja nicht nur, selbst Einfluss zu nehmen, sondern auch äußeren Einfluss hinzunehmen, wenn diese Option gewählt wird oder ohnehin keine andere Wahl bleibt. Die Hinnahme ist in jedem Fall wieder eine Situation der Wahl, denn festzulegen ist, mit welcher Haltung hingenommen werden soll. Dieser Wahl, in die eigene Neigungen und Überlegungen einfließen, stehen grundsätzlich diese Optionen zur Verfügung: das Widerständige zu ignorieren (auch wenn es fruchtlos ist, so verschafft es doch eine Atempause), dagegen zu revoltieren (das Abreagieren eines Affekts, auch wenn am Geschehenen nichts mehr zu ändern ist), zu resignieren (»die Waffen zu strecken« als bewusste Wahl, nicht nur als Verlegenheit), zu akzeptieren (die einfache, Kräfte schonende Hinnahme des Geschehenen: »nicht fragen, nicht klagen, nur tragen«), zu affirmieren (das Geschehene sogar zu bejahen, aus welchen Gründen auch immer), zu utilisieren (aus dem Geschehenen noch Nutzen zu ziehen, es »umzunutzen«), zu ironisieren (Distanz zum Geschehenen einzunehmen, sich »darüber« zu stellen, um dasBetroffensein abzumildern oder gänzlich fern zu halten).
    Das Leben wird daher zum Spiel auch dort, wo es aus einem selbst gewählten oder aber fremdbestimmten Müssen

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