Mit sich selbst befreundet sein
besteht, das kein Spiel mehr zu erlauben scheint: So lässt sich auch der berühmt gewordene Satz verstehen, der Mensch sei » nur da ganz Mensch, wo er spielt «, dort also, wo er nicht bloßer Notwendigkeit folgt, sehr im Unterschied zu anderer Natur, wie Friedrich Schiller im 15. Brief Über die ästhetische Erziehung des Menschengeschlechts von 1795 meint. Denn Schiller versteht das Müssen, das als Pflicht von innen und als Schicksal von außen her bestimmt ist, nicht als Widerspruch zur Freiheit des Spiels: Der Satz vom Menschen, der spielt, gewinne vielmehr erst dann seine »große und tiefe Bedeutung«, wenn er auf den ganzen Ernst von Pflicht und Schicksal angewandt werde, um auf spielerische, gestaltende Weise mit dem existenziellen Ernst umzugehen und Schönheit zu realisieren. Existenziell ist dasjenige, was nicht abgewiesen und nicht revidiert werden kann. Schön ist das, was aus freien Stücken bejaht werden kann und jene » lebende Gestalt « beseelt, die »Gegenstand des Spieltriebes« ist. So nur ist auf der Grundlage des Satzes vom Menschen, der spielt, das ganze Gebäude der Kunst und, wie Schiller betont, der »noch schwierigeren Lebenskunst« aufzurichten, um aus dem Leben ein Spiel zu machen.
Das Phänomen des Widerständigen ist wiederum Teil des umfassenderen Phänomens der Polarität : Immerzu und überall sind Gegensätze und Widersprüche im Spiel, die sich polar gegenüberstehen und in einem endlosen Hin und Her, poetischer: einem Schaukeln aufeinander wirken; ein Schaukelprinzip des Lebens ergibt sich daraus. Das Leben ist ein Wechselspiel: Das ist nicht etwa die Behauptung einer objektiven Wahrheit, sondern die Beobachtung einer Regelmäßigkeit, die immer wieder die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Just am Beginn der Epoche der Moderne, für die die Aufhebung von Gegensätzen und Widersprüchen zur Utopie werden sollte, kamen Romantiker wieNovalis zu dem Schluss, dass Selbst und Welt, das Leben und die Geschichte einer Polarität bedürfen, zwischen deren Polen sozusagen der Strom des Lebens fließt. Konsequenterweise werden in der Romantik die Schattenseiten der Existenz in ihrer Bedeutung als »negative« Pole gegenüber den »positiven« anerkannt: Traurigsein gebenüber Freude, Schmerzen gegenüber Lüsten, Krankheit gegenüber Gesundheit, Wahnsinn gegenüber Normalität, Abgründigkeit gegenüber Oberflächlichkeit. Dies zugrunde gelegt, kann mit der viel beschworenen romantischen Harmonie keine Aufhebung der Polarität gemeint sein, eher der Versuch zu ihrer Aufrechterhaltung und Ausbalancierung, zu einer spannungsvollen Harmonie ähnlich der palíntropos harmoníē , der »gegenstrebigen Zusammenfügung« des antiken Denkers Heraklit. Ja, mehr noch: Dort, wo die Polarität nicht in zureichendem Maße anzutreffen ist, bedarf das Spiel des Lebens einer Kunst der Polarisierung . Das kann bedeuten, den Gegenpol zu provozieren, ihn in jedem Fall dort, wo er sich von selbst zeigt, in seiner Bedeutung zu erkennen und anzuerkennen; etwa den Gegenpol der Angst in mir, der nun als konstitutiver Bestandteil des Lebens erscheint. Es mag sich um eine Erfahrung des »Negativen« handeln, aber das schöne und erfüllte Leben, um das es in der Lebenskunst geht, kann dem Grundsatz der Polarität entsprechend nicht aus dem »Positiven« allein bestehen. Würde eine wachsende Zahl von Individuen den Schattenseiten des Lebens, dem »Negativen« mehr Bedeutsamkeit zuerkennen, wäre wohl nicht nur das individuelle Leben, sondern auch die übergreifende Kultur der Moderne an einem wichtigen Punkt zu modifizieren: Ausbalancieren eines rein optimistischen Weltbildes durch einen pessimistischen Gegenpol, Bestandteil einer anderen Moderne.
Das als Spiel verstandene Leben wird zu einer Kunst der Balance zwischen Gegensätzen und Widersprüchen, zumindest in der individuellen Haltung, die »das Andere« nicht ausschließt. Das Selbst integriert die zufälligen Gegebenheiten, die zur Notwendigkeitgeworden sind; es akzeptiert die unumstößliche Widerständigkeit, die das Wirkliche prägt. Vielleicht gelingt dies nur für einen Moment, aber dieser Moment trägt die Existenz, mögen die Gegebenheiten auch noch so bedrückend sein. Einen Eindruck davon gibt die volkstümliche Samba-Kultur, wie sie im Film Moro no Brasil – ich lebe in Brasilien des finnischen Regisseurs Mika Kaurismäki von 2002 dokumentiert wird: Über alle Gegebenheiten mit ihrer bedrückenden Unüberwindlichkeit, über alle moderne
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