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Mit sich selbst befreundet sein

Mit sich selbst befreundet sein

Titel: Mit sich selbst befreundet sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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Sinn nicht zu ersetzen: Materielle Sinn-Zusammenhänge sind weniger ergiebig als ideelle , sie setzen nicht dieselben immensen Energien frei. Wird die Sinnlosigkeit nicht verursacht vom Leistungsdruck der modernen Wirtschaft und Gesellschaft, der unerträglich groß ist und die Menschen ruiniert? Aber das zentrale Problem ist nicht, dass der Leistungsdruck wächst, sondern dass die Ressourcen schwinden, ihn auszuhalten. Zu diesen Ressourcen gehört der »Sinn« an erster Stelle. Nun rächt es sich, dass Gesprächspartner für diese Frage oft fehlen, dass, wer die Sinnfrage stellt, als Problemfall abgetan wird – und dies meist von Menschen, die nur zu gut ahnen, dass diese Frage in Tiefen führen könnte, die sie lieber nicht kennen lernen wollen.
    Während Sinn unbegrenzte Kräfte freisetzt, macht Sinnlosigkeit kraftlos, ausgebrannt, krank, und spätestens die Krankheit zwingt nun doch zum Nachdenken. Die Erfahrung des »Ausgebranntseins« ist ein zuverlässiger Indikator für die Dringlichkeit der Frage nach Sinn. Ein Burnout entsteht dort, wo jeglicher Sinn zerbricht. Das ist insofern problematisch, als »Sinn« nicht nur die Lebensquelle des Einzelnen, sondern auch der Rückhalt der gesamten Gesellschaft ist; selbst ein »System« kann auf Dauer nicht ohne Sinn existieren, das galt für das System des Sozialismus und gilt in gleicher Weise für dasjenige des Kapitalismus. Von heute auf morgen kann die Frage nach Sinn das Leben umstürzen und ganze Systeme zum Einsturz bringen. Insofern ist die Fragenach Sinn wie Dynamit, hoch explosiv; man muss vorsichtig damit hantieren. Menschen, die sich auf die Suche nach Sinn begeben, kennen irgendwann kein Halten mehr, denn ohne Sinn lässt sich nicht leben, nicht privat, nicht wirtschaftlich, nicht gesellschaftlich. Sehr viel hängt daher davon ab, ob der Arbeit und dem Leben Sinn gegeben werden kann oder nicht. Wie weit Arbeit, Leben und Sinn auseinander gedriftet sind, verrät die Rede von einer Work-Life-Balance : Arbeit und Leben, harte Arbeit und Lebensgenuss, Beruf und Familie, Sinnloses und Sinnvolles sollen miteinander zu vereinbaren sein. Aber schon vom Begriff her verweist der angestrebte Ausgleich auf das eigentliche Problem, das zugrunde liegt: Weil Arbeit nicht mehr als Bestandteil eines sinnvollen Lebens wahrgenommen werden kann, muss zwangsläufig nach einer »Balance« beider gesucht werden.
    Das Problem, und folglich die Lösung, könnte auf Seiten des Begriffs der Arbeit selbst angesiedelt sein. Denn was ist Arbeit ? Die Antwort scheint auf der Hand zu liegen: eine Stelle zu haben und eine Aufgabe gemäß Stellenbeschreibung zu erfüllen, um vom Ertrag leben zu können. Doch das ist nur das in der Industriegesellschaft entstandene moderne Verständnis des Begriffs, dessen Geschichte sich schreiben lässt (Jeremy Rifkin, Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft , 1995). Für eine andere Moderne lässt sich der Begriff versuchsweise anders definieren: Arbeit ist all das, was ich in Bezug auf mich und mein Leben leiste, um ein schönes und bejahenswertes Leben führen zu können. Jede Aufmerksamkeit und jeder Aufwand an Kraft hierfür kann Arbeit sein, körperlich, seelisch, geistig. Vorweg die Arbeit an sich selbst um der Selbstbefreundung willen: Sie ist dem Selbst vollkommen zu Eigen, ihr kann es sich ganz und gar widmen, irgendwelche Arbeitslosigkeit ist hier nicht zu erwarten, und es ist diese Arbeit, die die Voraussetzung für alle weiteren Arbeiten darstellt und sie durchdringt. Etwa die Arbeit an Freundschaft , die moderne Menschen bewusst zu leisten haben, Bestandteil einer Formgebung der Freiheit, um Bindungen neu zu begründen, während diePflege der Freundschaft in vormodernen Kulturen noch zum Bestand fragloser Selbstverständlichkeiten gehört. Ferner die Familienarbeit : die engsten Beziehungen zu pflegen, das schwierige Zusammenleben zu organisieren, die Hausarbeit zu erledigen, den gemeinsamen Rhythmus fürs Leben zu finden, den familiären Alltag zu bewältigen, Kinder zu erziehen. Je poröser die Gesellschaft wird, umso größere Bedeutung gewinnt darüber hinaus die Bürgerarbeit , beginnend mit der Gestaltung der Begegnung mit anderen im Alltag, nicht endend mit der Arbeit an Gesellschaft im so genannten »dritten Sektor« neben Staat und Privatwirtschaft, um soziale Dienste zu leisten und Selbsthilfe zu organisieren: Sinn der Arbeit und Lebenssinn lassen sich erfahrungsgemäß vor allem hier erfahren. Ins Blickfeld rückt auch die Muße

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