Mit sich selbst befreundet sein
erlernen, Fairnessund Fairplay im sportlichen Spiel erscheinen nicht mehr nur als moralische Forderungen, sondern als Klugheit aus einem wohlverstandenen Eigeninteresse heraus: Denn eine faire Behandlung durch andere beansprucht das Selbst auch für sich. Die Bedeutung der Gerechtigkeit und die Schwierigkeit, sie im Einzelfall herzustellen, wird im Spiel einsehbar. So geschieht, gleichsam beiläufig, ein soziales Lernen in der Form eines »sozialen Trainings«, denn auch dies bedarf der Übung.
Für viele steht Sport in einem engen Bezug zur Gesundheit und ist sogar identisch mit ihr. Faktisch ist Sport allerdings eine Möglichkeit, die eigene Gesundheit in Gefahr zu bringen, auch vorsätzlich. Gesundheit ist nun aber kein absoluter, sondern ein relativer Wert, in Relation zur Wahl des Selbst, das frei ist, seine Gesundheit zu riskieren, wenn es nur rechtzeitig die möglichen Konsequenzen kennt und sie dann, sollten sie eintreffen, auch aushält. Die Wahl gilt ferner einer Festsetzung dessen, was, wenn die Gesundheit als Wert anerkannt wird, als gesundes Maß angenommen werden soll, ein gesundes Maß auch des Sports, um nicht blind nur ungesunden Normen Folge zu leisten. Nichts spricht dagegen, mit sich zu experimentieren, sich zu erproben und auszuprobieren, um sich in Erfahrung zu bringen; ganz im Gegenteil: Da das zu lebende Leben für moderne Menschen nicht normativ feststeht, ist der einzuschlagende Weg ohnehin experimentell zu erkunden. Es ist also nicht verwunderlich, sondern nur konsequent, wenn junge Menschen sich im Sport in die experimentelle Existenz einüben wollen: Es handelt sich um eine Selbsterprobung , um die Form seiner selbst zu finden; daher das Wachstum des Risiko- und Erlebnissports. Um gespürt zu werden, bedarf das Leben der Spannung; verschwindet diese aus dem alltäglichen Leben, wird sie eben künstlich herzustellen versucht. Aber selbst dann, wenn es zur freien Wahl von Individuen gehört, sich zu riskieren, erscheint es sinnvoll, zumindest Jugendliche nicht unvorbereitet dieser Situation auszusetzen, sondern sie an die Wahl heranzuführen, ihnen dabei zu helfen,Risiken abzuschätzen, die daraufhin auf kalkulierte Weise eingegangen werden können. Wagnis- und Sicherheitserziehung gehören daher zusammen: existenzielle Grenzerfahrungen zu ermöglichen, aber mit begrenzter Gefahr, denn es geht hier um ein Üben und Lernen fürs Leben, nicht darum, das Leben aufs Spiel zu setzen, bevor es so recht begonnen hat.
Sollte die moderne Norm des grenzenlosen Lustempfindens dabei der Leitstern sein, so ist im Sport doch auch die Polarität des Lebens kennen zu lernen. Denn bei aller Sportausübung geht es nie nur um die Erfahrung von Lust , immer auch um die von Schmerz . Der Körper ist für den, der Sport treibt, nie nur einer, der ungeahnte Lüste fühlt, sondern auch einer, der sich vor Schmerzen krümmt. Der Schmerz muss nicht gesucht werden, er stellt sich erfahrungsgemäß von selbst gelegentlich ein und nötigt dazu, den Umgang mit ihm zu erlernen: Sollte es nicht möglich sein, ihn zu integrieren, läuft das Selbst Gefahr, sich und das Leben »nicht mehr zu spüren«. Denn der Schmerz ist die Kontrasterfahrung, die den Wert der Lust erst fühlbar macht und noch dazu orientierende Funktion fürs Leben übernimmt: Der Schmerz stellt dem Selbst drängende Fragen, die ihre Antworten in einer veränderten Ausrichtung des Lebens finden können. Dazu tragen auch seelische Schmerzen bei, etwa aufgrund eines Misslingens, das der alleinigen Ausrichtung aufs Gelingen zuwiderläuft; das Scheitern aber kann reicher an Erfahrung sein als der gerade Weg zum Ziel. Im Sport lässt sich die mögliche Haltung fürs Leben einüben, nicht auf ein Gelingen sich festzulegen, auch nicht auf ein gelingendes Leben; keinem Erfolgszwang sich auszusetzen, der nur zu ungesunden Verkrampfungen führt. Nicht dass der Erfolg nicht erstrebenswert erschiene, aber es kommt darauf an, nicht ihn allein im Blick zu haben. Und sollte er irgendwann dann doch nicht mehr zu vermeiden sein, ist das Selbst besser vorbereitet auf die schwierige Situation: Denn auch Erfolg zu haben will gelernt sein, um ihm nicht anheim zu fallen und ihn nicht inkürzester Zeit, leichtsinnig geworden, wieder zu verlieren.
Entscheidend wäre, aus Gründen der Lebenskunst, Sport nicht nur als aktive »Leistung« zu verstehen, sondern auch als Zeit der Muße , derer Menschen gelegentlich bedürfen, um nicht im permanenten Leistungsstress unterzugehen.
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