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Mit sich selbst befreundet sein

Mit sich selbst befreundet sein

Titel: Mit sich selbst befreundet sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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größte Glück der größten Zahl zu realisieren und dieses Glück in der Hauptsache als Wohlfühlglück zu verstehen. So wird die Wellnessbewegung zur Wachstumsindustrie westlicher Gesellschaften und zu jener freudigen Volksbewegung, wie sie auch für die äußere Ökologie wünschenswert gewesen wäre.
    Das Besondere der Wellness beruht, unter dem Aspekt der Lebenskunst, jedoch auf einem Paradigmenwechsel, einem Seitenwechsel der Sorge , der sich vollzieht, von der Fürsorge anderer und anonymer Institutionen für das Selbst hin zur Selbstsorge . Kenntlich wird dies daran, dass »Wellness« anders ansetzt als die herkömmliche »Kur«, bei der eine bestimmte Krankheit zu kurieren war und das entsprechende Vorgehen einem Individuum heteronom »verschrieben« wurde. Wellness kommt ohne Indikation aus, ist umfassender (»ganzheitlicher«) angelegt und stellt eine eigene Vorsorge gegen Krankheit dar, beruht also auf der autonomen Initiative des Selbst und wird von ihm daher auch weit mehr angeeignet als eine Kur. Insofern steht Wellness für ein Wohlbefinden, für das der Einzelne selbst etwas tut, nicht mehr sich vernachlässigt, nicht mehr alle Sorge für sich patriarchalen Instanzen zuweist, sich vielmehr um sich selbst kümmert, auch wenn dies zunächst einhergeht mit einem etwas narzisstischen und hypochondrischen Bekenntnis zum gesunden Lebensstil und zur Steigerung des Wohlbefindens, kurz: fürs »Positive«, für die »Harmonie« vonKörper, Seele und Geist. Es geht um ein umfassendes Erlernen des pfleglichen Umgangs mit sich selbst, mal fordernd und mal schonend, und sei es nur in einem Day-Spa zum Kurzaufenthalt im Wellnessbereich – Spa als Abkürzung für das lateinische sanus per aquam , »gesund durch Wasser«, im Englischen schon lange der Name für ein Bad, ein Heilbad, eine Mineralquelle.
    Affirmativ und auf umfassende Weise lässt Wellness sich als eine Kunst der Berührung beschreiben, und zwar auf allen dafür möglichen Ebenen, beginnend auf der Ebene des Körperlichen : Die Sinnlichkeit des Selbst wird wieder entdeckt durch ein inszeniertes Fest des Sehens, Hörens, Riechens, Schmeckens, Tastens, aller Sinne also, die berührt und stimuliert werden mithilfe von Farben, Düften, Musik, Wärme, Ölen, Salben, sanftem Handauflegen, Massagen, Tanz und Gymnastik, Saunieren und Dampfbädern, altindischen Ayurveda-Behandlungen und chinesischen Atemtechniken in einem ästhetisch gestalteten Ambiente, das der Lust des Blicks Genüge tut. Ins Blickfeld rückt die Beschäftigung mit den Grundlagen der Ernährung und deren Genuss selbst, denn auch das ist Ökologie, nämlich Ökologie des Körpers. Erfahrbar wird der wohltuende Wechsel von Ruhe und Bewegung, Aktiv- und Passivsein, Anspannung und Entspannung. Wellness selbst ist eine Entspannung, der eine Anspannung vorausliegt, die ihr unvermeidlich auch wieder folgt; ruinös wäre in gleicher Weise, nur die Anspannung oder nur die Entspannung leben zu wollen: Überspannung im einen, Erschlaffung im anderen Fall wäre die zwingende Folge, Ende aller Wellness in jedem Fall. Aufgabe der Wellness ist es, den Rhythmus von Anspannung und Entspannung, der vielleicht verloren worden ist, wieder in Kraft zu setzen, denn Rhythmen sind es, die das Leben tragen. Erfahrbar wird darüber hinaus, dass die sinnliche, körperliche Erfahrung auch die Seele anspricht, ihre Energien freisetzt und sie zum Sprechen bringt. Die Behandlung des Körpers kann eine Botschaft an die Seele sein, nämlich dass das Selbst sich in seiner Gesamtheit um sie sorgen, sich um sie kümmernwill, sie ernst zu nehmen und zu pflegen versucht, auch wenn es sich nur um eine Berührung handelt, die ganz an der Oberfläche der Haut bleibt und doch viel tiefer geht.
    Auf der Ebene des Seelischen , basierend auf dem Körperlichen, kommt es zum Verwöhnen des Selbst in Gefühlen, zum Glück des Wohlfühlens , das seine Rechtfertigung nicht nur in der Stärkung des Selbst, sondern auch im Gewinn der Ressourcen findet, die der Zuwendung zu anderen wieder zugute kommen. Für die Berührung im Seelischen sorgen die sinnlichen Empfindungen, die zugleich körperlich und seelisch erfahren werden, aber auch die stillen Gespräche mit sich selbst, die mehr gefühlt und gespürt als verbal gedacht werden; auch die Gespräche mit anderen, die im Raum der Muße möglich werden. Ganz von selbst wird diese Zeit zur verschwiegenen Arbeit des Selbst an seinen inneren und äußeren Zusammenhängen, in der es aufs Neue

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