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Mit sich selbst befreundet sein

Mit sich selbst befreundet sein

Titel: Mit sich selbst befreundet sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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rituellen Bestandteil der modernen Kultur geworden ist, hat zweifellos zu einer neuerlichen Faszination des Körperlichen für viele Menschen beigetragen. Die Folgen bleiben nicht auf den Sport beschränkt, sondern tragen zur Gestaltung des gesamten individuellen und gesellschaftlichen Lebens bei. Im Sport werden Haltungen geschaffenund Verhaltensweisen angeeignet, die auch im außersportlichen Leben Verwendung finden.
    Da das Leben asketischer Übungen bedarf, um erlernt zu werden, und da sich über die äußerliche Gestaltung die Selbstgestaltung verinnerlichen lässt, ist der Sport für alle Erziehung und Selbsterziehung zum Lebenkönnen ein ideales Betätigungsfeld. Befördert wird, was für die Lebenskunst zentral ist: die Sorge, die das Selbst auf sich richtet, und die Pflege, die es sich angedeihen lässt. Was dabei eingeübt wird, ist zuallererst, beinahe unbeachtet, eine Selbstaufmerksamkeit . Indem die Arbeit an sich selbst in Gang kommt, stellt das Selbst die Beziehung zu sich her, die vielleicht verloren oder noch nie so recht gefunden worden ist. Diese Beziehung zu sich zu gewinnen, mag unter dem Verdacht des Narzissmus stehen, ist aber gleichwohl konstitutiv für den bewussten Lebensvollzug. Über die Aneignung des eigenen Körpers kommt die Selbstaneignung zustande, die eine starke Selbsterfahrung vermittelt und für die alle körperliche Übung und Anstrengung nur ein Transmissionsriemen ist. Körperlich eine gewisse Macht über sich zu gewinnen, wird schließlich zum Modell des Verhältnisses zu sich selbst überhaupt, denn letzten Endes dient alle Übung dazu, Selbstmächtigkeit zu erlangen, eine Macht über sich selbst, die in ihrer Gebundenheit an Maß und Umkehrbarkeit das demokratischere Modell gegenüber der immer etwas diktatorischen Herrschaft ist, die in der »Selbstbeherrschung« zum Ausdruck kommt. Selbstmächtigkeit verschafft Möglichkeiten der Verfügung über sich, und im Sport ist dies, soweit es sich nicht um Denksport handelt, vor allem ein Verfügen über körperliche Möglichkeiten.
    Was die unablässige, regelmäßige Übung bewirkt, ist die Entstehung von Gewohnheiten . Sei es eine bestimmte Handlungsabfolge, ein Verhalten, eine Gestik, eine Sichtweise, ein Denken oder auch der kalkulierte Verzicht darauf: Ein ganzes Netz von Gewohnheiten wird mithilfe von Übungen geknüpft, eine Notwendigkeit in der Kunst des Körpers wie in der gesamtenLebenskunst, denn die regelmäßige Wiederholung des immergleichen Vollzugs dient dazu, etwas zur Selbstverständlichkeit werden zu lassen, sodass es ohne Mühe, ohne weiteres Nachdenken abläuft und gekonnt zu vollziehen ist. »Gekonnt« wird eine bestimmte Bewegung aufgrund ihrer Einübung, und ihre Ausübung geht nun leichter, schneller, präziser von der Hand, als dies bei einmaligen Vollzügen der Fall ist; das ist die asketische Grundlage jeder Art von Kunst, so auch der Kunst des Körpers. Der Prozess der Gewöhnung begründet im Umgang mit dem eigenen Körper und dem gesamten Umfeld zudem ein »Wohnen« im engeren und weiteren Sinne: Das Leben kann sich einrichten, wenn Gewohnheiten die Fremdheit durchbrechen und für Vertrautheit sorgen. Für die Lebenskunst kommt es lediglich darauf an, diesen Prozess bewusst zu vollziehen und diejenige Art von sportlicher Betätigung zu wählen, von der das Selbst sich und sein Leben prägen lassen will.
    Die durch Übung und Gewöhnung erlangte Selbstmächtigkeit erlaubt sodann, das Maß des eigenen Lebens zwischen einem Zuviel und Zuwenig in vielem finden zu können, auch beim Umgang mit verführerischen Lüsten oder problematischen Affekten wie Zorn und Aggression. Sich »gehen zu lassen«, ist eine weitere Option, die jedoch nicht als sonderlich anspruchsvolle Kunst und Lebenskunst gelten kann. Äußerlich mag es bei der Arbeit an sich selbst um ein Bewegungs- und Koordinationsrepertoire gehen, innerlich aber um den Aufbau und die Erhaltung der Integrität des Selbst , offen für Veränderungen, offen auch für andere, um sie in das eigene Selbstverständnis zu integrieren. Die Stärkung der Selbstbeziehung zielt keineswegs nur auf das Selbst, sondern auch darauf, andere einzubeziehen und starke Beziehungen zu anderen zu begründen, hier aber nicht so sehr aus moralischen Gründen, sondern aus Gründen der Selbstsorge, da sich der Gewinn von Beziehungen zu anderen als Bestandteil der Klugheit fürs Leben erweist. Der Sport bietet vielfältige Möglichkeiten, die Aufmerksamkeit auf andere zu

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